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Der direkte Weg

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In den Jahren seit 1955 ist die „Villa Hügel“ in Essen für alle an der Produktion interessierten deutschen Unternehmer — und darüber hinaus für durchschnittlich 10.000 Besucher im Monat — ein Begriff geworden. Der „Verein Industrieform“, seinerzeit auf Anregung von Prof. Dr. Carl Hundhausen (Firma Friedr. Krupp) gegründet, hat diese Ausstellung „formschöner Industrieerzeugnisse“ unter der Leitung von Arch. Dr. Paul Mahlberg geschaffen. Dr. Mahlberg führte auch den Umbau des kleinen Hauses auf dem Hügel (ein Teil des ehemaligen Wohnhauses der Familie Krupp) durch, das nun den Zwecken der Schau völlig angepaßt ist

Seitdem steht dieses Haus den Industriefirmen zur Verfügung, die ihre Produkte einer Jury zur Begutachtung vorlegen. Sie zahlen einen Mietpreis von 15 DM pro Quadratmeter im Monat, für kleinere Stände um 50 Prozent mehr; die Dauer des Mietvertrages ist durchschnittlich ein Jahr.

Eine solche Ausstellung ist an sich schon ein Ansporn für Firmen, die um die gute Gestaltung ihrer Produkte bemüht sind. Den besonderen Erfolg verdankt „Villa Hügel“ aber zweifellos einer anderen Maßnahme: Geschultes Personal begleitet sämtliche Besucher (der Eintrittspreis ist sehr niedrig) und erläutert die gezeigten Gegenstände. Hierbei werden jedoch keine Fragen im Sinne der üblichen „Meinungsforschung“, die immer etwas suggestiv wirken, gestellt. Die Urteile und Bemerkungen der Besucher werden aufgezeichnet und ohne Veränderungen den betreffenden Firmen weitergegeben. Diese Firmen erhalten somit einen absolut objektiven Querschnitt der Publikumsmeinung. In vielen Fällen wurde ein bestimmtes Modell auf Grund dieser Urteile verbessert oder abgeändert, wobei die Architekten und Entwerfer des Vereines beratend zur Seite stehen. Es werden auf Wunsch auch Formgeber vermittelt, wobei sich der Verein während der gesamten Entwicklungsarbeit ein Mitspracherecht vorbehält. Prinzipiell werden alle Gebiete der industriellen Produktion erfaßt: Maschinen, Werkzeuge, Apparate

— naturgemäß besonders stark vertreten sind Haus- und Küchengeräte, Geschirr, Glas, Porzellan usw.

Ein Einblick in die gesammelten Besucherstimmen zeigt, wie sehr sich dieses System bewährt. Es gibt überraschend wenig gedankenlose Urteile, man erkennt deutlich, daß sich der präsumtive Verbraucher sehr wohl über das Zusammenspiel von Form und Funktion, über die Vorzüge in der Handhabung und die Beständigkeit des Materials Gedanken macht. Kleine Fehler in der Gestaltung werden unerbittlich und mit überzeugender Mehrheit erkannt; sehr häufig wird auch an Ort und Stelle der Entschluß, zu kaufen geäußert.

Ein weiterer Grund für die durchschlagende Wirkung dieser Schau ist die ausstellungsmäßige Leistung, die hier geboten wird. So locker und ungezwungen die Zusammenstellung auch wirkt, man spürt, daß hier konzentriert, systematisch und mit künstlerischem Verantwortungsgefühl gearbeitet wurde. Ueberraschend wirkt der Mut, mit dem die rein ästhetische Wirkung der Industrieform herausgestellt wird. Allerdings geschieht das auf eine ebenso geistvolle wie reizvolle Weise, so daß das Interesse der Besucher, ohne jemals ins Moralisieren zu verfallen, gefesselt wird. Es gibt kaum Aufschriften und Erklärungen zu den einzelnen Gegenständen.

Selbst wo technische Geräte oder Maschinen nicht von allen Besuchern verstanden werden können, läßt man die Schönheit und Richtigkeit der technischen Form an sich wirken. Maschinenteile sind kühn mit bunten Farben bemalt und enthüllen trotz des oft skurillen Aussehens den eigenen Reiz der richtiger Konstruktion. Ein Motor wirkt wie eine asiatische Götterstatue, ein Rollerchassis wie eine moderne Plastik, Zangen sind auf Draht so montiert, daß sie an bissige Tiere erinnern: Alles dies ist nicht Spielerei, sondern demonstriert auf völlig un-

orthodoxe Weise das Wesen der technischen Form, lehrt den Besucher sehen.

Alle Gegenstände können und sollen berührt werden; sie sind so auf gestellt, daß sie geradezu zum „Probieren“ herausfordern. Man schreckt dabei auch keineswegs vor kleinen „Tricks“ zurück, um die Aufmerksamkeit zu erregen: Da gibt es eigene Lichteffekte, Schalter und Glocken können betätigt werden und vor einer Tafel mit Skalen werden begeisterte Ausrufe laut, wenn alle Zeiger ausschlagen, sobald ein Besucher vor sie hintritt.. Dies alles trägt dazu bei, den Konsumenten zur aktiven Mitarbeit an der Gestaltung des Produktes, seines Produktes, zu bringen.

In dieser aktiven Mitarbeit aber liegt das entscheidende Moment, das man auf „Hügel" so gut erfaßt hat: Die direkte Verbindung, der dauernde Kontakt zwischen Erzeuger und Verbraucher wurde hergestellt. Alle mit dem Problem der Industrieform Beschäftigten wissen, welche ungeheure Schwierigkeit darin liegt, eine objektive Publikumsmeinung auf dem Weg über den Händler und den Vertreter zu erhalten. Es müßte aber das Ziel gerade der Industrie sein, möglichst genau über die Wünsche und Bedürfnisse des Konsumenten informiert zu sein, um die Produktion darauf abzustimmen, und Verluste an Zeit und Geld zu sparen. In Oesterreich hat man bisher unverständlicherweise versäumt, diesen direkten Weg zu suchen; man betrachtet Konsumenten immer nur als bestimmte Personengruppen und vergißt, daß jeder Konsument ist. Wenn bei uns nun immer wieder die Veranstaltung einer permanenten Ausstellung industrieller und gewerblicher Faktoren diskutiert wird, sollte man sich die Erfahrungen der „Villa Hügel" zunutze machen, der Aufwand würde sich auf lange Sicht bestimmt lohnen.

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