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Verdrängungen

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Hier ist die Rede von Aber wie sie nennen? Wie das Thema andeuten, ohne anzuecken? Am besten vielleicht durch Nennung dessen, worauf sie — im Sprachgebrauch — gehen? Aber wird nicht selbst der geometrische Ort all dessen, was auf

der kürzesten Verbindung zwischen zwei Punkten liegt, in Verbindung mit ihnen zum Unwort?

Kein Zweifel, eine der ältesten Kommunikationsformen stößt aui Kommunikationsschwierigkeiten, die Verdrängungen signalisieren. Die sprachlichen Verdrängungen korrelieren mit handfesteren von Straße zu Straße.

Einmal durften sie nur da, dann wieder nur dort. Die Stadtchronik ist voll davon. Mit der Prostitution (jetzt ist es heraußen!) verfuhr die Gesellschaft wie mit einem beliebig im Gesicht verschiebbaren Pickel. Los wurde man „sie“ nie. Heute sind sie letzte Relikte einer Sozialordnung, in der die Außenseiter, die „Unehrlichen“, die Henker, Totengräber, und eben „sie“, die klassische Rolle der Parias spielten. Mag sein, daß in den für sie geschaffener Reglements auch heute noch unbewußt eine Tendenz mitspielt, dei Gesellschaft Parias zu erhalten.

Neuester Stand in Wien: Nur noch in der Krugerstraße, aber mindestens fünfzehn Meter von der Kämt- nerstraße entfernt. Damit es im Dunkel geschieht, wenn es schon sein muß. Sicher wird im Dunkel einiges mehr passieren als im sterilen Neonglanz der Stradz Carinthia. Und es wird auch wiedei zu Recht Empörte geben, die ihre Nachtruhe reklamieren. Und mar wird wieder neue Reviere festleger müssen. Es sei denn, es geling! „ihnen“, wie immer, die neue, straffe Disziplin aufzuweichen und die alten Zustand' wieder herzustellen Die einzigen, die profitieren, sind die Zuhälter. Druck auf die Schützlinge stärkt immer ihre Stellung.

War ja net Wien, wenn es gelänge, die Institution, die man nicht loswerden kann, großstädtisch zu institutionalisieren.

Aschenkultur

Die folgende Einladung wurde uns dieser Tage auf den Redaktionstiscl gelegt. Wir möchten den veilen Texl auch unseren Lesern nicht vorenthalten. Hier ist er:

Die gezeigten Arbeiten stammen fast alle aus dem Jahr 1969.

Einige entstanden bei E. + W. Fren- ken in Breitenbrunn aus den burgenländischen Müllhalden.

Einige größere habe ich an meinem Wohnort Stuttgart aus „grobem Müll" hergestellt, und die neuesten brachte ich gerade erst mit aus Ibiza (Baleares).

In diesen jüngsten Arbeiten, von denen ich leider keine mehr abbilden konnte, war das Ausgangsmaterial angeschwemmter Zivilisationsschutt aller Art; Bretter, Keile, Kreisformen, Bleche, Puppenteile, zusätzlich verarbeitet mit Gips.

Ich habe diese Dinge zu Ordnungen arrangiert, die meiner Vorstellung von Welt und Dasein entsprechen.

Alles weitere läßt sich nicht sagen, Sie können es den Arbeiten entnehmen, falls Sie in der Zeit vom 1. bis 30. November 1969 nach Breitenbrunn kommen werden.

Übrigens wurden bei der Eröffnung der Ausstellung auch Aschenlieder gesungen, es gab „tröstende Speisen und Getränke“, und zum Heimgang erfolgte die Verteilung von Kunsturnen

Renobiliert

In Wien-Hütteldorf wird in Kürze ein kommunal-wissenschaftliches Dokumentationszentrum eröffnet. Bei der Gründung dieses Zentrums stand die Zentralsparkasse der Gemeinde Wien Pate. Aufgabe dieses als Verein konstituierten Institutes wird es vor allem sein, eine umfassende Dokumentation über aktuelle kommunale Probleme sowie über kommunalwissenschaftliche Arbeiten zu erstellen.

Das Dokumentationszentrum wird sich, wie Plakaten, die in Wien angeschlagen sind, zu entnehmen ist, in der sogenannten Windisch- Graetz-Villa befinden.

Diese Villa kaufte vor einigen Jahren die Gemeinde Wien von der damaligen Besitzerin, Frau Elisabeth Petznek, gegen eine Leibrente. Frau

Elisabeth Petznek war schon hochbetagt, als sie diesen Vertrag abschloß, starb schon bald nachher, worauf die schöne Villa an die Gemeinde Wien fleh

Daran wird niemand etwas finden und ist auch nichts zu finden. Interessant ist nur, daß die Villa jetzt wieder Windisch-Graetz-Villa genannt wird und nicht Petznek-Villai. Letzteres läge näher, denn der Gemahl von Frau Petznek war ein prominentes Mitglied der österreichischen sozialdemokratischen Partei. Aber sein Name wird verwischt zugunsten des fürstlichen Namen -.Windisch-Graetz. Daß diese Villa den Namen Windisch-Graetz-Villa führt, ist allerdings nicht aus der Luft gegriffen. Denn Frau Elisabeth Petznek war, bevor sie Herrn Petznek heiratete, mit einem Fürsten Windisch-Graetz verheiratet. Sie war außerdem eine geborene Erzherzogin von Österreich und, ganz konkret gesagt, die einzige Tochter des Kronprinzen Rudolf und seiner belgischen Gemahlin, somit eine Enkelin Kaiser Franz Josephs. Sie war zeitweise eine begeisterte Sozialistin, und so ist es eigentlich verwunderlich, daß ausgerechnet die Gemeinde Wien diese Villa „renobiliert“.

Rauschgiftsucht greift um sich

In den USA beträgt die Zahl der Rauschgiftsüchtigen mehrere Hunderttausend. Außerdem haben Millionen von amerikanischen Studenten mindestens einmal Marihuana, Haschisch oder LSD versucht. Die Zahl der Verhaftungen ist in den letzten Jahren um 800 Prozent gestiegen. Die Hälfte der Festgenom- menen waren Jugendliche unter 21 Jahren. In Dänemark hat sich die Zahl der Rauschgiftsüchtigen seit 1966 versechsfacht. Ähnliches ergaben schwedische Statistiken. Erhebungen in Großbritannien zufolge rauchen rund 300.000 Engländer aller Kreise regelmäßig Marihuana.

Wie aus Untersuchungen der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien hervorgeht, stünden auch die Psychiater in Österreich vor einem unlösbaren Problem, da die Zahl der Süchtigen — und zwar die Dunkelziffer — seit vier Jahren rapid ansteigt. Wie schwierig die Lösung dieses Problems sei, zeige allein die Tatsache, daß man sich bis heute noch nicht im klaren ist, worin das Wesen der Süchte bestünde und auf welche Kriterien sich die Definition derselben zu stützen hätte. Sicheres Wissen besteht bis heute nur über die Ursachen des „Griffes zur Droge“:

• die Tendenz, Milseren zu überwinden, indem man die Umwelt rosig gestaltet,

• die Möglichkeit, sich in das Paradies der Innenwelt zu flüchten,

• der Wunsch, in die tieferen Schichten des Unterbewußtseins vorzu dringen.

Die Flucht aus der Realität 1st allgemein auf seelische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und körperliche Störungen zurückzuführen.

Und dies alles Inmitten einer Wohlstandswelt Oder vielleicht gerade deshalb?

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