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Die industriellen Revolutionen

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Mit der zunehmenden Mechanisierung seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich der Markt auf Massenproduktion umgestellt, lieber die dadurch ausgelösten Umschichtungsprozesse auf allen Gebieten hatte man das Produkt, um das es eigentlich ging, fast vergessen. Es war da, es wurde in Mengen erzeugt, und die Tatsache, daß man nun Gegenstände, die in handwerklicher Ausführung viel zu kostspielig gewesen wären, als Serienerzeugnisse billig kaufen konnte, war Anreiz genug für den Konsumenten. Die innere Unsicherheit des 19. Jahrhunderts spiegelt sich aber in der Hilflosigkeit, mit der man der Gestaltung dieser Produkte gegenüberstand. Neue Materialien und Herstellungsmethoden wurden mit unglaublicher Schnelligkeit entwickelt, der Geschmack des Publikums aber flüchtete sich in einen verzweifelten Historizismus, der auch in der bildenden Kunst und Architektur vorherrschte. Es war die Angst vor einer Entwicklung, die sich doch nicht mehr aufhalten ließ. Zur gleichen Zeit, als Eiffel seinen stählernen Turm baute, versteckte man die Wohnung hintet schweren Draperien, belud alle Gebrauchsgegenstände mit Ornamentik und verbarg die Struktur der Möbel hinter Polsterungen und Kissen.

Es bedurfte schmerzhafter Uebergänge und vieler Irrtümer, bis dieses Stadium überwunden war. Man war von der Form ausgegangen und hatte versucht, die neuen Methoden auf diese hergebrachten Formen anzuwenden Man hatte sich bemüht, kostbare Materialien und kunst-

handwerkliche Bearbeitungsmethoden maschinell nachzuahmen: Das Resultat waren die monströsen Geschmacklosigkeiten der Salons um die Jahrhundertwende, Salzfässer in Form gotischer Kathedralen und Küchenherde mit aus Blech imitierten Holzschnitzereien. Nur langsam setzte sich der Gedanke durch, nicht von der Form auszugehen, sondern vom Material und von der Funktion. Beim Handwerk war die Erfüllung dieser Forderungen meist selbstverständlich gewesen; sie bewies das Können eines einzelnen. Nur aber war die Produktion in viele Einzelvorgänge zerspittert. Die Folge war die Entfremdung zwischen dem Menschen und seinem Produkt, und damit setzte die Spezialisierung uhd Isolierung ein, die für die ganze Epoche charakteristisch wurden.

Der Bedarf war gegeben, und in der Industrie hatte man begreiflicherweise wenig Neigung,

dem Geschmack der Zeit entgegenzuarbeiten. Hier, bei diesen wirtschaftlichen Fragen, schließt sich der Kreis einer Entwicklung, die sich nun schon über ein Jahrhundert ausdehnt. Es sind dieselben Argumente, die von Unternehmern auch heute noch ins Treffen geführt werden.

Die beiden Weltkriege mit den erzwungenen Sparmaßnahmen, aber auch die Herstellung von ganz neuen Produktionen, für die es in der Geschichte kein Beispiel gab (etwa Flugzeuge, die von Anfang an nach funktionellen Grundsätzen konstruiert wurden) brachten langsam die Ueberzeugung, daß die Form, die dem Material und dem Zweck eines Produktes am besten entspricht, die richtige Form ist, und daß sich ein neuer Schönheitsbegriff auf der Grundlage dieser funktionellen Richtigkeit ' entwickeln würde.

Diese Erkenntnis rief eine weitere industrielle Revolution hervor. Die wichtigsten Barrikaden sind erobert, mit dem unnützen Kram des vergangenen Jahrhunderts ist aufgeräumt worden. Die nächste Aufgabe war und ist eine konstruktive: an Stelle der schlechten oder irgendeiner Form die gute, weil richtige Form zu setzen, der Industrie die technischen und wissenschaftlichen Voraussetzungen dafür zu geben und dem Konsumenten billige und einwandfrei gestaltete Produkte zu bieten.

Aus dieser Notwendigkeit stammt die Forderung nach einer zweck- und materialgerechten Gestaltung von Industriegütern, der „industriellen Formgebung", und darüber hinaus auch der Bedarf an Fachleuten, die diese komplexen Aufgaben zu erfüllen imstande sind, den Industrieentwerfern oder -gestaltern. Oberster Grundsatz muß die Werktreue sein, eine Werktreue, die der des Handwerkers nicht nachsteht, sondern nur eigenen Gesetzen gehorcht.

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