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Textilien und Textilentwurf

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Der Textilentwurf, das „Dessin“, wird -vielleicht schon wegen des sprachlichen An klanges — in den meisten Ländern als Teil gebiet der Formgebung, des „Design“, an gesehen, wogegen man bei uns mit diese Einordnung zögert. Ein Grund hierfür ist du weitverbreitete irrige Auffassung, daß Textil entwurf ausschließlich eine Modesache sei daß man — besonders bei Druckmustern -praktisch alles auf jedes Material, drucket könne; leider geschieht das tatsächlicl manchmal in der Praxis. Der nachfolgendi Aufsatz einer bekannten Textilentwerferiv soll mithelfen, die Begriffe zu klären: daj es nämlich, vollkommen unabhängig von Modischen, Faktoren gibt, die den Textilentwurf bestimmen. Es sind im Grunde dieselben wie bei jedem anderen Entwurf füi industrielle Erzeugnisse: Material, Verarbeitung und Funktion (Verwendungszweck). Dadurch, daß das Dessin werkgerecht diese Komponenten einbezieht, geht es über die bloße Dekoration hinaus. Der Unterschied zu anderen Produkten liegt vielleicht darin, daß die Mode innerhalb gewisser Grenzen hier mit Berechtigung stärker einwirkt als auj anderen Gebieten. Und daß ein weiterer Faktor — anders als etwa bei technischen Geräten — hier eine besonders wichtige Rolle spielt: die Auswahl. Sei es als Dekorstoff oder Kleiderstoff, Textilien erfordern immer in besonderem Maße Anpassung an die Persönlichkeit des Benutzers und dessen Fähig' keit, sich über die eigenen Ansprüche klar zu werden. Es wäre aber unrichtig, den Textilentwurf aus diesem Grunde nicht zur Formgebung zählen zu wollen. Formgebung läßt sich nicht'„nach Rezept“ betreiben.

Wenn das Dessin eines Gewebes, wie jedes Ornament überhaupt, in erster Linie seelischer Ausdruck ist und wenn auch das entscheidende Moment für die Richtigkeit der jeweiligen Anwendung durch die Harmonie dieses Ausdruckes mit dem Charakter des Menschen, der es am Leibe trägt oder der davon umgeben ist, oder aber von der Raumstimmung einer Architektur, in welche es eingefügt ist, bestimmt ist, so werden neben diesen Komponenten eine Reihe technologischer Fakten für eine beglückende Gesamtwirkung mitentscheidend sein. Vor allem sind dies: die Gespinstfaser eines Gewebes und die Gewebebindung. Verhältnismäßig leicht wird es gelingen, zwischen Faserart und Bindungscharakter einen ästhetisch erfreulichen Einklang zu. finden. Zwischen Dessin und Gewebe, schon gar aber zwischen Dessin und Verwendungszweck, wird dies oft schwieriger sein. Sind doch die vielen Entsprechungen zwischen den Arteigenheiten des Materials und denen des Ornaments, wie z. B. Feinheitsgrad des Gewebes und Feinheitsgrad der Musterstruktur oder Präzision der Flächenkonturen und Oberflächenglätte des Stoffes oder aber Sattheit, Transparenz und Leuchtkraft der Farbe zur Gewebedichte, Durchsichtigkeit und Reflektierfähigkeit auf das feinste zu beachten, um edles, werkgerechtes Gestalten zu erreichen. So wird sich z. B. ein Dessin-Entwurf, dessen Reiz in der präzisen Flächenkontur liegt, am glatten Chintz besser repräsentieren als am groben Baumwollgewebe, während umgekehrt eine weiche, pastellartige Farbstimmung besser an weichen Texturen zum Ausdruck kommen wird. Seidenstoffe werden häufig das reiche Detail im Ornament und die nuancierte Abstufung der Farbtöne verlangen, während bei bedrucktem Leinen, etwa als Kleiderstoff, frischere Farbkontraste und einfachere Formen bevorzugt sein werden.

Was die Uebereinstimmung zwischen Ornament und Verwendungszweck betrifft, muß zunächst grundsätzlich zwischen dem Modestoff und dem Stoff im Interieur unterschieden werden. Während die Mode bewußt ihre ornamentalen Mittel mit jedem Jahr von neuem „erblühen“ läßt, sollte das Ornament im Raum, sei es am Bezug eines Sitzmöbels oder am Vorhang, der abends über die leichten Gardinen gezogen wird, annähernd so lange „halten“, wie der Stoff selbst oder das Raumgefüge, in welches er eingefügt ist, hält. Dabei ist wieder zu bedenken, daß es nicht gleichgültig ist, ob es sich etwa um den Vorhang in einem Aufenthaltsraum handelt oder in einem Vorraum, der nur rasch durchschritten wird und daher in Farbe und Form viel gewagter behandelt werden kann. Wichtig ist auch die Frage, ob ein ornamentierter Stoff in Falten verwendet wird oder nicht, oder ob er gar beiden Möglichkeiten gleichzeitig entsprechen muß, wie etwa beim Kleid, wo mancher Schnitt neben vielen anderen Erfordernissen auch dieses diktiert. Ein in Falten gezogener Uebervorhang wirkt manchmal trotz guter Material- und Farbstimmung schlecht, weil die Größe des Ornaments in einem schlechten Verhältnis zu den Dimensionen des Raumes oder auch nur zu seiner Höhe steht.

Ja selbst ein schlechtes Größenverhältnis zwischen Ornament und Faltentiefe (welche übrigens bei verschiedenen Materialen verschieden ist), kann die an sich gute Wirkung eines Stoffes ins Gegenteil verkehren, denn entweder soll das Muster über die Falten dominieren, dann muß es hinlänglich groß sein, oft sehr groß sein oder umgekehrt. Jede Unausgesprochenheit gerade in diesen Belangen ist von Uebel. Auch die Richtung, respektive Richtungslosigkeit des Ornaments muß ins Kalkül gezogen werden: während sich für den in unendlich vielen Blickrichtungen betrachteten Möbelstoff eines prallgespannten, gerundeten Sitzmöbels am besten ein richtungsloser Stoff eignet, kann es umgekehrt geradezu plump und störend wirken, wenn bei einem Vorhang, der bereits durch „das Fallen“ des Stoffes das große tektonische Thema des „oben und unten“ manifestiert, dieses durch die Richtungslosigkeit eines Ornaments völlig negiert wird. Sogar wirtschaftliche Erwägungen, wie z. B. die Forderung nach möglichst geringem Verschnitt sind häufig entscheidend dafür, ob seitens der Massenproduktion der richtungslose Stoff dem gerichteten vorgezogen werden soll.

So ist es eine Unzahl wechselnder Konstellationen, in welchen sich die Motive der Gestaltung dem Entwerfer immer wieder neu präsentieren und an der Tiefe seiner Verbundenheit mit den jeweils echten Lebensformen, an seiner künstlerischen Elastizität und seinem Feingefühl in der Unterscheidung, wie weit er sich den weitausholenden Wogen der Formentwicklung oder dem reizenden Gekräusel modischer Launen im einzelnen Falle hinzugeben hat, wird es liegen, ob seine Arbeitsleistung auch Kulturarbeit, ob seine Tätigkeit nur Erwerb oder auch Beruf ist.

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