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Zur Ästheiik und Dramaiurgie des Farbfilms

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Geben wir es doch zu: der Farbfilm steht heute noch immer auf der Stufe technischer Überbetonung und Begeisterung; mit anderen Worten — auch bei ihm zeigt sich nach wie vor jenes Übermaß an Farbe, das — bezogen auf die Tonreproduktion — anfangs den Tonfilm verzerrt hat und auch heute noch vielfach entstellt.

Man muß aber auch diesen Schatz, den uns die Technik heben half, so verwalten, daß er der reinen Filmkunst würdig wird. Die Farbe, über den reinen P a lettenwert gehoben, darf nicht technischer Selbstzweck sein, sondern darf nur nach subtilsten Prüfungen der inneren Wechselbeziehung von Motiv und Farbe, von Inhalt und Farbe bestimmt werden. Heute ist der Farbtonfilm noch gezeichnet durch das in der Regel leere Nebenherlaufen von Bild und Farbe, von Ton und Farbe, von Inhalt und Farbe. Es wäre unerfreulich und beklemmend, wenn selbst bei größter Naturnähe der Farbe kein höherer künstlerischer Wert erreicht würde als in den ersten Tonfilmen der des Tones, da man unbedingt jedes Wort, jeden Schritt, jedes Türenknarren hören mußte. Man konnte erst dann von einer künstlerischen Erfüllung der Tonfilmmission sprechen, als man gelernt hatte, den Ton in seinem ganzen akustischen Umfang so weit zu reduzieren, daß er — ohne den eigentlichen Filmrhythmus zu hemmen — nach strengster gehaltlicher Auswahl als Wort künstlerisch betont, als G e- rausch symbolisch bezogen, als Musik inhaltlich vertieft werden konnte.

Nichts anderes erwarten wir vom Farbtonfilm: eine Farbharmonielehre, eine Farbfilmdramaturgie, die endliche künstlerische Inbeziehungsetzung von Farbe und Inhalt!

übersehen wir es nicht: der Filmbildkünstler hat im Laufe der Jahrzehnte auf seine Forderungen hin von der Technik Mittel erhalten, die es ihm ermöglichen, durch die gehaltliche Betonung von Licht und Schatten, durch die gefühlsmäßige Anwendung von tausend Graunuancen, mit Aufhellern und spotlights und anderem mehr einen optischen Filmstil zu entwickeln, der heute vollkommen reif und fertig ist und noch nie nach Farbe verlangte. Ist nicht gerade durch die gehaltliche Vertiefung von Licht ünd Schatten der Film erst zu dem geworden, was ihn zur Kunst erhoben hat? Gewiß! Jede Schwarzweißkunst wirkt abstrakter, gedanklicher, tiefer — aber sie läßt eben dadurch im Betrachter die Möglichkeit weitgehendsten Phantasiespiels offen, eine bedeutende Bereicherung der freien Gefühlserlebnisse im Zuschauer, der ja auch sonst schon nach filmischem Grundgesetz dynamischer als der Theatergast in den Spielraum der Handlung einbezogen wird.

Das alles gibt für den Farbfilm zu denken, wenn nicht zu befürchten, und es wäre an der Zeit, sich mit der Frage um die rein künstlerische Problematik zu befassen. Man darf, wie gesagt, die künstlerische Höhe des reinen Schwarzweißfilms nicht übersehen; man muß bedenken, daß die Farbe nicht unbe- zogen neben dem Filminhalt einherlaufen darf und kann, sondern — wie im Tonfilm — nur dann berechtigt ist, wenn sie das Kunstwerk elementar steigert, erhöht, gehaltlich verdichtet.

Der Farbtonfilm hat also die Licht- und Schattenwerte des Schwarzweißfilms mit ihrer außerordentlichen Fähigkeit ästhetischer und ethischer Progression durch eine genaue Wertung der Farbe und Farbtöne und ihrer Wirkung auf die menschliche Psyche zu ersetzen. Schon die bisherigen Leistungen auch in ihren besten Beispielen hätten eigentlich Aufschluß geben können, was von einem flachen, gedankenlosen Naturalismus im Farbfilm zu erwarten ist.

Farbe, das In-Farben-Sehen, bedeutet allein schon eine gewisse ethische Erhöhung, müßte also in der künstlerischen Gestaltung zu höchster ästhetischer Höhe gesteigert werden. Man darf nicht alles einfach kolorieren, sondern Farbe nur dort verwenden, wo eben Farbe inhaltlich, stofflich und thematisch unbedingt gefordert wird, will man nicht anders völlige Entwertung erzielen. Verstehen wir unter Filmnaturalismus nicht die flache oberflächliche Nachbildung der Natur, sondern die Erfassung des Wesentlichen nach einem bestimmten künstlerischen Auswahlprinzip und dessen Neugestaltung mit den Stilmitteln ästhetischer und ethischer Progression, so ergibt sich von selbst die Wertung der Farbe im Film: ein neues Sinnmittel metaphorischer Gefühlsgestaltung. Denn „natürlich“ heißt im Film: Ausdruck eines erhöhten Lebensgefühles in knappster Form und in der einfachsten, aber einprägsamsten Linienführung!

Wir wollen hoffen, daß dieses Übermaß an Farbe, dieses Schwelgen in übersatten Farbtönen, eben eine typisch filmische Kinderkrankheit ist, und wir wollen in einem berechtigten und durch bestimmte geistesgeschichtliche Parallelen gestützten Optimismus erwarten, daß es bald gelingt, auch die Farbe den organischen Filmgesetzen unterzuordnen. Denn auch für den Farbfilm sind natürlich die elementaren Bewegungsgesetze des Films maßgebend, wobei für ihn vor allem die Bewegung durch den Schnitt und die Bewegung des Lichtes im Raum Geltung haben muß. Diese beiden Gesetze aber steuern die Farbe im Film ganz anders als im ruhenden Bild, das statisch auf einen gehaltlich bedingten Grundton abgestimmt ist. Abgesehen davon, daß der Farbtonfilm die Ateliers bis in die letzten Winkel umstürzt, daß er Operateur und Regisseur vor stets neue Gegebenheiten stellt, wird letzten Endes doch niemand so sehr von den neuen Kunstforderungen überwältigt wie der Cutter. Lag schon bisher in seinen Händen das letzte Geheimnis des Filmischen. der eigentliche kontrapunktische Grundrhythmus des Films, so sieht er sich nunmehr vor einem Aufgabenkreis, der größtes dichterisches, malerisches und musikalisches Feingefühl verlangt! Mußte er bisher schon über die prägnanten Drehbuchangaben hinaus nuancieren, da und dort letzte Feinheiten des gehaltlich bestimmten Rhythmus hervorheben, die eben die Qualität des Films ausmachen, wird nunmehr seine Mission wesentlich erweitert.

Selbstverständlich wird auch schon der Drehbuchautor die neuen Probleme berücksichtigen müssen, selbstverständlich stellen sie bereits Architekten, Beleuchter usw. vor immer neue Tatsachen, aber den letzten Zusammenklang der Farbsymphonie, das letzte Wunder des Farbfilmschnittes hat hier einzig und allein der Cutter zu bewirken. Hier — in diesem assoziierenden Übergang von Farbton zu Farbton, von Szene zu Szene, von Bildausschnitt zu Bildausschnitt, von Einstellung zu Einstellung kann sich im richtigen ästhetischen Auswahlprinzip die Kunst des neuen Filmschnittes weisen.

Mehr als im Schwarzweißfilm, wo von diesem Stilelement noch ganz wenig Gebrauch gemacht wurde, wird wahrscheinlich jetzt im Farbtonfilm die Bewegung des Lichtes im Raume eine Rolle spielen, die den Schnittrhythmus wohl wesentlich beeinflussen und retardieren wird, allerdings zugunsten ganz neuer, in ihrer Wirkung nicht erahnter und erschöpfter Ausdrucksmöglichkeiten. Schon der Schwarzweißfilm kannte in der letzten Zeit zum Teil das Fluten des Lichtes im Raum als weiteres Bewegungselement. Um wieviel mehr kann erst jetzt durch die Erschließung ganz neuer unerhörter Farbkombinatio- nen dieses künstlerische Stilmittel ausgewertet werden.

Wenn wir auch auf Grund der bisherigen Schöpfungen dem Farbtonfilm mit Recht noch skeptisch genenüber- stehen, so müssen wir doch bekennen, daß manche beachtliche Leistung immerhin seine filmästhetische Anwartschaft bewies. Wenn es gelingen sollte, diese neue Sinnesdimension des Films organisch in die kompositorische Gegebenheit Film einzuordnen, wird manche künstlerische Kinderkrankheit überwunden werden.

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