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Nicht dass er in verbaler Rede inkompetent wäre: Seine Bücher haben sowohl Musikern als auch Musikfreunden Augen und Ohren geöffnet. Seine Interviews erweisen ihn als engagiert, sprachmächtig und temperamentvoll. Eine ganze Generation seiner ehemaligen Studenten schmückt ihre Künstlerbiografien mit seinem Namen. Seine ebenso kreativen wie witzigen Sprachschöpfungen füllen einen ganzen Zitatenband mit Aussprüchen aus seiner Probenarbeit. Dennoch: Seine Sprache sind vor allem die Klänge. Oder, um es mit einem von ihm geprägten Wort zu sagen: die Klangrede. Es geht um den Klangredner Nikolaus Harnoncourt, der am 6. Dezember 75 wird.

Begnadeter Polemiker

Sein Werdegang ist von kreativem Protest geprägt. Vom Cellisten der Wiener Symphoniker bis zum Spitzendirigenten, der sich aus dem vormaligen Musikghetto der "Alten Musik" in den mainstream des allgemeinen Konzertbetriebs "vorgearbeitet" hat - ohne allerdings dem gängigen Bild des Allround-Dirigenten zu entsprechen. Er ist stets gegen den Strom geschwommen. Er gehört offensichtlich zu jenen Menschen, deren Kreativität sich am Widerspruch entzündet. Wer ihn einmal im Gespräch erlebt hat, weiß, dass er im Streitgespräch zur Höchstform auflaufen kann. Man ist versucht, ihn - im guten Sinn des Wortes - einen "begnadeten Polemiker" zu nennen.

Wie kaum ein Musiker unserer Tage ist er auf zeitgemäße Weise altmodisch, ein konservativer Revolutionär, ein Reformer mit dem scharfen und genauen Blick zurück. Die Suche nach dem Originalklang mündet in heutige Klangrede. Seine umfassende Bildung erlaubt ihm, kulturgeschichtliche Zusammenhänge zu erkennen, historische Hintergründe zu sehen und philosophische und theologische Deutungen zu wagen, die sonst nur Spezialisten zugänglich sind. Er ist keiner jener Musiker, die außerhalb ihres Metiers kaum etwas interessiert. Es dürfte sogar zutreffen, dass ihn die Musik vor allem in ihrer Verflechtung in die gesellschaftlichen, die historischen, die kulturellen Zusammenhänge fasziniert. Die Klänge allein - wenn sie nicht sprächen - wären belanglos.

Für ihn ist die Musik eine Weltsprache nicht nur im Sinn einer vagen Verbrüderung über Kulturgrenzen hinweg, sondern sie ist - wie jede wahre Kunst - ein Kommunikationsmittel, ein Medium der Mitteilung. Deshalb hat auch sein biografischer Ausgangspunkt bei der Musik der frühen Oper um 1600, bei Monteverdi und dem Sprechgesang, nicht nur zufällige Bedeutung. Nichtssagende Musik - im genauen Sinn des Wortes - ist ihm ein Gräuel. Daraus begründet sich seine Ablehnung jedes belanglosen Getöns - gleichgültig, ob es sich um liebloses Musizieren, um bloß virtuoses Geklingel, um Musik als Ornament oder um die heutzutage allgegenwärtige Klangtapete der Fließbandmusik aus den Lautsprechern des aufdringlichen Kommerzes handelt.

Nicht alles dirigieren

Dass er Musik als Klangrede, als Sprache sieht, erklärt auch eine bei Dirigenten eher seltene Haltung: Er hat nicht den Ehrgeiz, alles zu dirigieren. Einerseits verweigert er sich Werken, die sich ihm (noch) nicht erschlossen haben, die vielleicht auch leerer Rhetorik frönen, andrerseits kann es sein, dass er wichtige Werke über Jahre hin nicht aufs Programm setzt, weil er in keine flache Routine verfallen will. So kann er auch über längere Zeit hinweg zu wichtigen Kompositionen wieder neuen Zugang gewinnen. Das erklärt auch Neueinspielungen erprobter Werke. Seine Kritik macht vor ihm selbst nicht halt. Das dürfte auch ein Grund für seine alterslose Lebendigkeit sein, die nie aufhört, Fragen zu stellen.

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