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Kafka und die Wienerin

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Hier soll nicht die Rede sein von Milena Jesenskä, der tschechischen Journalistin, die zwar zur Zeit der Bekanntschaft mit Franz Kafka in Wien lebte, aber aus Prag stammte. Es war eine andere Tschechin, in Wien 1820 in der Alservorstadt geboren, die spätere berühmte Schriftstellerin Bozena Nemcovd, die Autorin des Buches „Babicka — Die Großmutter“, das Franz Kafka so liebte, daß er sich auch für den Werdegang und die Briefkorrespondenz dieser Wienerin interessierte. Nemcovä hieß sie, seit sie einen böhmischen Finanzbeamten Nemec geheiratet hatte; ihre junge Ehe scheiterte aber bald, da die literaturbesessene Frau nicht ihrem Manne in entlegene Dienstorte folgen wollte, sondern es vorzog, sich mit ihren bescheidenen Honoraren und mit ihren Kindern in Prag durchzuschlagen, weil sie ihre literarischen Verbindungen nicht aufgeben wollte. Wortwörtlich am Hungertuche nagend, starb die Nemcovä als junge Frau von 42 Jahren, nachdem sie ihr Mann von den Korrekturbogen in Litomysl in sein Prager Heim Ecke Graben-Herrengasse heimgeholt hatte. Man bedenke, Franz Kafka starb im Ort, wo Bozena Nemcovä geboren wurde, Franz Kafka wurde unweit ihres Sterbezimmers geboren und beide erreichten nur ein Alter von etwas mehr als 40 Jahren. Was hat Kranz Kafka an dieser Frau fasziniert, daß er sich mit ihr beschäftigte? Vor allem ihre Energie, womit sie ihre Schreibleidenschaft gegen Mann und übelnehmende Gesellschaft verteidigte. Sie wollte als erste Tschechin selbständige Schriftstellerin sein, unabhängig von Mann und Familie, etwas, was Franz Kafka als Berufung vorschwebte, was er jedoch nicht erreichen konnte. Sie war selbständig auch in politischen und moralischen Ansichten, und ihr Stil ist heute noch klassisch und modern zugleich.

Als sie in Wien geboren wurde, konnte Pater Praxmarer bei der Taufe keinen Vaternamen ausfüllen. Die Mutter des damals Barbara genannten unehelichen Kindes war Therese Nowotny, die als blutjunges Mädchen in die Weinstube der Frau Hauptmann aus Nordostböhmen gekommen war, um hier zu bedienen. Die Mutter selbst war ein Kind mit 15 Jahren! Der Vater dieses nun Barbara getauften Säuglings war der 25jährige Stallbursche Johann Pankl aus Gainf arn in Niederösterreich,- un weit von Bad Vöslau. Er stand in den Diensten des Grafen Karl Rudolf von der Schulenburg und der Herzogin von Sagan, die in Ratibo-fice in Nordostböhmen ein Schloß hatten. Johann Pankl und die junge Therese, die dann im August 1920 dort in Nordostböhmen eine späte kirchliche Ehe eingingen, hatten nun in der mütterlichen Heimat ein neues Heim, wenn auch Vater Pankl mit seiner Herrschaft viel in der Welt herumkutschierte. Denn die Herzogin von Sagan war nicht gewohnt, auf ihrem böhmischen Schlosse lang ohne Gesellschaft zu leben. Herr von der Scbulenlberg war bereits ihr dritter Gatte, und die längste Liaison, die nicht kirchlich gesegnet war, hatte Fürstin „Kitty“ mit den Fürsten Metternich gehabt, wobei gemunkelt wird, daß ihr auch Gentz und der russische Kaiser Alexander nahegestanden wären. Tatsächlich wurden die Verhandlungen der späteren anti-napoleonischen Koalition

Franz II. — Alexander — König Friedrich Wilhelm von Preußen auf ihrem Besitz geführt, wobei Metter-nicht natürlich die größte Rolle spelte und die Fürstin Kitty als Spionin benützt wurde. Es ist daher kein Wunder, wenn man bei der überraschend eilig geschlossenen Ehe der 15jährigen Weinstubenbedienung und dem 25jäh-rigen nur deutsch sprechenden Stallburschen sowie der blitzartigen Vaterschaftsanerkennung des Kindes Barbara den Verdacht ausgesprochen hat, daß Barbara ein unterschobenes Kind Metternichs und der Fürstin Kitty sei. Jüngst gefundene Dokumente in Rychnov (Nordostböhmen) bestärken diesen Verdacht: Beide Eltern waren von keiner besonderen Intelligenz, während Barbara Novot-nd-Pankl, später Beatrix-Bozena NSmcovd, ein außergewöhnliches Schriftstellertalent aufwies. Ihr Leben lang hat sie Sehnsucht nach der Schloßherrschaft gehabt, hat „Geschichten auf und unter dem Schloß“ geschrieben, während Franz Kafka nur einen Roman mit dem Titel „Schloß“ geschrieben hat, bei dem noch heute Literaturhistoriker herumraten, welches Schloß es war.

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