Prozess Linz Terroranschlag Wien - 2021 wurde in Linz ein 30-Jähriger verurteilt , weil er dem Attentäter von Wien falsche Papiere besorgt hatte. - © Foto:Foto: APA / fotokerschi.at / Werner Kerschbaummayr

Worte als Waffe gegen Extremismus

19451960198020002020

Der Verein „Derad“ betreut Gefährder in Gefängnissen und leistet Präventionsarbeit gegen Radikalisierung. Obmann Moussa Al-Hassan Diaw hat derzeit besonders viel zu tun.

19451960198020002020

Der Verein „Derad“ betreut Gefährder in Gefängnissen und leistet Präventionsarbeit gegen Radikalisierung. Obmann Moussa Al-Hassan Diaw hat derzeit besonders viel zu tun.

Werbung
Werbung
Werbung

Am Abend des 2. November 2020 wird die Wiener Innenstadt von Terror erfasst. Ein jihadistischer Attentäter schießt im Ausgehviertel Bermudadreieck um sich, vier Menschen werden getötet, 23 verletzt. Die Lage ist noch völlig unübersichtlich, als Moussa Al-Hassan Diaw kurz nach 22 Uhr eine Sprachnachricht auf seinem Handy erhält. Einer seiner jungen Klienten berichtet darin, er habe den Attentäter auf Videos, die in den Medien zirkulieren, erkannt. Der Hinweis geht weiter an die Polizei und liefert damit an jenem Abend den ersten, konkreten Anhaltspunkt bezüglich Identität des 20-jährigen Terroristen.

Die Episode zeigt, wie nah Moussa Al-Hassan Diaw an der heimischen, extremistischen Szene dran ist; in Österreich kennt das Milieu wohl kaum jemand so gut wie der Islamismusforscher und Pädagoge. 2015 gründete Diaw „Derad“ – einen Verein, der innerhalb von Gefängnissen radikalisierte Personen betreut und dabei versucht, ihnen ihr gefährliches Weltbild buchstäblich auszureden. In Gesprächssitzungen – meist zweiwöchentlich, im Bedarfsfall aber auch öfter - argumentiert man anhand theologischen, historischen aber auch subkulturellen Wissens, wie widersprüchlich und letztlich sinnlos die Gedankenwelt der Extremisten beschaffen ist.

Derzeit rund 100 Klienten

In der Regel werden die rund ein Dutzend Mitarbeiter von „Derad“ dabei erst tätig, wenn schon etwas passiert ist. Auf Weisung der Justiz zieht man sie nach Verhaftungen oder Verurteilungen neben der klassischen Bewährungshilfe hinzu. Bei bedingter Entlassung geht die Betreuung dann außerhalb der Haft weiter. Über die Jahre betreute der Verein dadurch gut 550 Personen, derzeit sind es etwa 100 Klienten, heißt es seitens „Derad“. Ein Großteil davon kommt aus dem islamistischen Spektrum, aber auch Rechts- und Linksextreme sowie sogenannte Staatsverweigerer sind darunter.

In den Haftanstalten sitzen die „Derad“-Mitarbeiter ihren Klienten direkt in der Verhörzone gegenüber. „Wir arbeiten bewusst nicht mit zeitlich beschränkten Einheiten, um den Gesprächsfluss nicht zu stören“, sagt Moussa Al-Hassan Diaw im Gespräch mit der FURCHE. Ein Allheilmittel könne die Haft nicht sein, für die Deradikalisierung bringe sie aber gerade am Anfang durchaus Vorteile mit sich, meint der Pädagoge. „Die Klienten sind im Gefängnis von ihrem oft sehr problematischen Umfeld isoliert, bekommen eine andere Tagesstruktur und können Termine mit uns nicht einfach kurzfristig absagen.“ Auch der permanente Konsum von gefährlicher Propaganda über soziale Medien lässt sich einschränken, auch wenn geschmuggelte Handys in Haft ein herrschendes Problem sind.

Heute, genau drei Jahre nach dem verheerenden Anschlag in der Wiener Innenstadt, ist die Sicherheitslage angespannt wie lange nicht. Die Terrorwarnstufe wurde österreichweit auf die zweithöchste Ebene gesetzt. Das Innenministerium begründet den Schritt mit einer gefährlichen Gemengelage, weil die Situation im Nahen Osten auch in Europa zu Spannungen führe, und es etwa in Belgien zuletzt einen terroristischen Angriff gab.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung