
Kindesmissbrauch: "Ich war eine Dunkelziffer"
Der Fall Florian Teichtmeister wird weiter heftig diskutiert. Woher Missbrauchsdarstellungen kommen, werde aber zu wenig beleuchtet, sagt die deutsche Präventionstrainerin Josefine Barbaric. Sie hat als Kind selbst Missbrauch erlebt. Heute gibt sie Betroffenen eine Stimme.
Der Fall Florian Teichtmeister wird weiter heftig diskutiert. Woher Missbrauchsdarstellungen kommen, werde aber zu wenig beleuchtet, sagt die deutsche Präventionstrainerin Josefine Barbaric. Sie hat als Kind selbst Missbrauch erlebt. Heute gibt sie Betroffenen eine Stimme.
"Talk im Hangar-7“. Wenige Tage nach dem umstrittenen Urteil gegen den ehemaligen Burg-Schauspieler Florian Teichtmeister will man auf ServusTV die Frage klären: „Freiheit für den Täter, lebenslang für die Opfer?“ Zum Gespräch geladen sind neben Rudolf Mayer, dem Rechtsanwalt von Florian Teichtmeister, auch der Gerichtspsychiater Reinhard Haller – und Josefine Barbaric, Kinderschutzaktivistin und Autorin aus Deutschland. Es ist ein hitziges Gespräch, in dem vor allem Mayer und Haller zu Wort kommen und für niedrige Haftstrafen für pädophile Rechtsbrecher plädieren. Barbaric will dagegen argumentieren, verweist auf ihre eigene Erfahrung als Betroffene von Kindesmissbrauch, Haller fällt ihr ins Wort – dann fällt ein Schlüsselsatz: „Es geht hier nicht darum, Ihr Leid zu relativieren, aber ...“
Nur wenige Stunden zuvor hat Barbaric in einem Telefonat mit der FURCHE gemeint: „Ich erlebe oft, dass Gesprächspartner nicht wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Viele tun sich schwer, eine Betroffene als Expertin zu sehen.“ Als das Gespräch in einem Videotelefonat einige Tage später fortgeführt wird, sagt sie, der Talk habe sie in dieser Meinung bestätigt. Dennoch: Ihren Einsatz für die Rechte und den Schutz von Kindern und ihre eigene Vergangenheit kann die 49-Jährige nicht so einfach voneinander trennen.
Ihre Erfahrung ist ihre Expertise
Barbaric weiß, wovon sie spricht. Missbrauchserfahrungen und Menschenhandel sind auch Teil ihrer Biografie. Mit 19 Jahren kann sie die Dynamiken durchbrechen. „Ich war selbst eine Dunkelziffer“, meint sie im Rückblick. Lange Zeit spricht sie nicht über das Erlebte. Einen geeigneten Therapieplatz zu finden, gestaltet sich schwierig; ebenso wie Vertrauen aufzubauen. Sie sagt: „Die einzigen Menschen, denen ich heute bedingungslos vertraue, sind meine Kinder.“
Durch medial intensiv besprochene Missbrauchsfälle wird sie vor einigen Jahren zurückgeworfen, die eigenen Erfahrungen holen sie ein. So sehr, dass sie ihre Stimme verliert. Die Ärzte sind ratlos, bis schließlich ein HNO-Arzt eine psychosomatische Ursache für möglich hält: „Es hat mir im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen“, erinnert sich Barbaric.
Den Rückschlag will sie so aber nicht hinnehmen. Sie beginnt, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Was daraus entsteht, ist das erste ihrer Aufklärungskinderbücher: „Nein! Lass das! Kraft gibt dir Kraft“. Das ist der Grundstein für ihren eigenen Verein, mit dem sie sich seit 2017 dafür einsetzt, dass Präventions- und Aufklärungsarbeit so früh wie möglich bei Kindern ankommen. Sie will der Gesellschaft schonungslos die Dynamiken hinter Kindesmissbrauch und Missbrauchsdarstellungen aufzeigen, vor den Gefahren warnen und Kindern vermitteln, dass sie frühzeitig „Nein!“ sagen dürfen, wenn eine Situation unangenehm ist. Das kann bereits ein Küsschen für den Opa sein, zu dem ein Kind gedrängt wird.
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