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Ernst Siegfried Steffen: Schreibstrom hinter Gittern

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Die Hälfte seines 34 Jahre kurzen Lebens verbrachte der deutsche Schriftsteller Ernst Siegfried Steffen im Gefängnis. Nur in dieser Zwangsbehausung konnte er schreiben, verbündet mit der mächtigsten Waffe der Ausgelieferten: der Ironie.

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Die Hälfte seines 34 Jahre kurzen Lebens verbrachte der deutsche Schriftsteller Ernst Siegfried Steffen im Gefängnis. Nur in dieser Zwangsbehausung konnte er schreiben, verbündet mit der mächtigsten Waffe der Ausgelieferten: der Ironie.

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Vom Gefängnis draußen sei Ernst Siegfried Steffen immer ins gleiche Muster gefallen, erzählte Rolf Zelter, der Entdecker des Schriftstellers, einmal in einem Interview über seinen Schützling: „Seine Trips in die Freiheit waren von kurzer Dauer.“ Zunächst sauste Steffen sinnlos durch die Bundesrepublik, bis nach Hamburg, habe getankt, ohne zu bezahlen, und das Auto schließlich zu Schrott gefahren. An den Folgen eines Autounfalls starb er auch jung und nach kurzem Ruhm. Das Unglück ereignete sich 1970 auf einer ungefährlichen Strecke, das Auto prallte gegen den einzigen Baum weit und breit. Als hätte er eine Vorahnung gehabt, schrieb er 1968: „Ich will frei sein – das darf mich das Leben kosten!“ Jenseits der Gefängnismauern brach sich seine Lebensgier immer wieder in roher Form Bahn. Auch Frauen ging er oft zu forsch an, er missdeutete ihre Freundlichkeiten. In Gefangenschaft aber war er zu feinsten Beobachtungen und Regungen fähig. Begleitet und angetrieben war er vom Gefühl, zwischen Stuhl und Bank gefallen sein: „Ich vermute, ich bin nur provisorisch gemeint“, schrieb er in einem Gedicht, „irgendwann wird man mich zu Ende denken.“

Heimkind und Zuchthäusler

Steffen verbrachte fast siebzehn seiner vierunddreißig Lebensjahre in Fürsorgeanstalten und Gefängnissen, damals vielsagend Zuchthäuser genannt. Sein Lebensthema war das ihm verweigerte Ankommen in der Gesellschaft, der vorenthaltene Platz, das Bei-Sich-Sein im eigenen Leben. „Ich werde nicht nach Hause kommen“, heißt es in klarsichtigen und schwermütigen Zeilen. „So wird es sein, wenn ich nach Hause komme.“ Den Blick der Gesellschaft auf den einmal vom Weg Abgekommenen beschrieb er als gnadenlos: „Wenn ich einem Mädchen anbiete, den Koffer zu tragen, werdet ihr’s versuchten Diebstahl nennen.“ Und: „Wenn ich ein Kind streichle, werdet ihr’s in Sicherheit bringen.“ Jenseits des Gefängnisses gab es für einen wie ihn nur „besetztes Leben“, „keine Ankunft mehr“, nur ein „großes Besetztzeichen“.

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