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Parteien und Demokratie

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Der amerikanische Historiker und Diplomat Claude G. Bowers war von 1933 bis 1939 Gesandter der USA in Spanien, 1939 wurde er zum Gesandten in Chile ernannt. Seinen Ruf erwarb er sich vor allem durch seine historischen und politischen Essays, in denen er sich besonders mit der Zeit Thomas Jeffersons, Alexander Hamiltons und Andrew Jacksons beschäftigte. Zu den bekanntesten Schriften Claude G. Bowers zählen: „Die Parteikämpfe zur Zeit Jacksons, Jeffersons und Hamiltons“. „Der Kampf um die Demokratie in Amerika das tragische Zeitalter“, „Die Revolution nach Lincoln“, „Jefferson an der Macht“, „Der Todeskampf der • Föderalisten“ und sein neuestes, 1945 erschienenes Werk „Der junge Jefferson“.

Seine Betrachtungen über die Funktionen der Politiker und Parteien in einem demokratischen Staatswesen geben mit ihrer Verteidigung der Politiker einen guten Einblick in die Art, wie man in Amerika demokratische Politik und demokratische Freiheit auffaßt. Unseres Erachtens kommt ihnen auch für die Entwicklung der europäischen Demokratie wesentliche Bedeutung zu.

„Die Furche“

Was versteht man eigentlich unter Politik? Das berühmte Webster-Lexikon definiert sie als „Die Kunst, eine Regierung weise und geschickt zu führen, die Wissenschaft, die sich mit der Organisation, Lenkung und Verwaltung eines Staates befaßt ... die Theorie oder Praxis der Lenkung von Angelegenheiten der allgemeinen Politik oder politischer Parteien.“ Und was ist dann ein Politiker? Laut Webster ist er „ein Mann, der in der Regierungskunst erfahren ist“.

Sicherlich ist an diesen Definitionen nichts irgendwie Ehrenrühriges zu finden. Aber kurzsichtige Spötter und Nachbeter des Faschismus lassen sich nicht davon abbringen, daß sich ein Politiker nur um des Verdienstes willen mit der Politik befaßt. Es mag ja tatsächlich der Fall sein, daß sich unter den Tausenden, die Ämter im politischen Leben inne haben, viele befinden, die sich diesem Beruf aus pekuniären Gründen zugewendet haben. Es sei hier nur nebenbei erwähnt, daß es ja schließlich auch das Geld ist, das viele Leute in Kontore, Banken und Fabriken zieht. Aber wie dem auch immer sei, wenn jemand seine Pflichten in dem Amt, für das er bezahlt wird, in zufriedenstellender Weise erfüllt, dann füllt er seinen Platz im Rahmen der organisierten Gesellschaft aus. Aber in höheren Stellen des politischen Lebens kenne ich auch eine ganze Anzahl Männer, die sich der politischen Laufbahn widmeten, trotzdem sie dabei einen finanziellen Verlust auf sich nehmen mußten, nur weil sie in erster Linie an der Verbreitung der Grundsätze und Puchtlinien interessiert waren und sind die ihrer Meinung nach zum Wohle des Landes dienen können.

Notwendigkeit einer Opposition

Diese Gedanken führen schließlich zu der Gruppe, auf der die Verachtung der Theoretiker und faschistisch Verseuchten am meisten lastet, zu den politischen Parteien. Mussolini und Hitler wollten keine von ihnen dulden; keine außer ihrer eigenen; und die führenden Persönlichkeiten Japans ließen alle, die nicht in ihrem Sinne sprachen, verstummen. Keiner von ihnen konnte eine Oppositionspartei vertragen, denn diese hätte sich vielleicht mit der Zerstörung der Menschenrechte und mit der Unterdrückung der Freiheit nicht einverstanden erklären können und sie hätte vielleicht die Lictuidierung politischer Gegner durch Erschießen, oder schwere körperliche Züchtigung und die Anmaßung einer unumschränkten Herrschaft nicht ungerächt geschehen lassen. Es ist bezeichnend für die weise Denkungsart der Engländer, daß, gleichgültig welche Partei sich am Ruder befindet, die die Minderheit vertretende Oppositionspartei offiziell „die Opposition seiner Majestät“ („His Majesty's Opposition“) genannt wird, und überall in Britannien wird die bedeutsame Funktion die-

ser Opposition“ seiner Majestät voll anerkannt. Sie weist auf unterlaufene Fehler hin, verlangt Erklärungen, bewirkt, daß sich die gerade an der Macht befindliche Partei nicht auf ihren Lorbeeren ausruht und beleuchtet die politische Szenerie zum Wohle der Öffentlichkeit, die ein Recht hat, über alle Vorgänge unterrichtet zu sein, da sie die Regierung ja durch ihre Wahl einsetzt.

Ohne Parteien wäre die Dem o-kratie ein Chaos, und wo nur eine Partei gewaltsam aufrecht erhalten wird, herrschen Faschismus und Tyrannei. Politische Parteien sind also notwendig. Aber wo sie vorhanden sind, muß es auch Parteiführer und somit Politiker geben. Eine Demokratie geht ohne tapfere, intelligente und charaktervolle Führerpersönlichkeiten unter.

Ob es einen besseren Weg gibt, auf demokratische Art und Weise zu regieren als den mit Hilfe der Parteien, wissen wir nicht. Die Erfahrung hat gelehrt, daß ohne organisierte und von fähigen Politikern geführte Parteien die schimpflichsten Verfolgungen eines Volkes nich* verhindert werden können. Man denke nur an die Berichte aus dem faschistischen Italien, dem nazistischen Deutschland und dem militaristischen Japan. Die hie und da laut gewordenen Proteste von einzelnen Personen hatten nur ihre sofortige Liquidierung zur Folge.

In Amerika wurde in der „Aera des gegenseitigen Einverständnisses“ die Verschmelzung aller Parteien zu einer einzigen vorgeschlagen und viele frohlockten bereits, daß es nur mehr eine einzige Partei gäbe. Aber diese Verschmelzung konnte nicht wie in Italien und Deutschland durch Regierungsbeschluß vollzogen werden, sie mußte mit der Zustimmung des ganzen Volkes erfolgen.

Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, widersetzte sich dieser Idee mit allen Mitteln. Er schrieb: „Ich glaube weder an eine Verschmelzung der Parteien, noch halte ich sie für wünschenswert oder gar nützlich für die Allgemeinheit ... Die Parteien beobachten sich gegenseitig und erfüllen so eine für die Öffentlichkeit sehr nützliche Funktion.“ Und

an anderen Stellen heißt es bei Jefferson: „In jeder freien und entschlußfähigen Gemeinschaft muß es — der Natur des Menschen entsprechend — oppositionell eingestellte Parteien geben ...“ „Man müßte die Spaltung in Parteien eher fördern, als sich um ihre Verschmelzung bemühen, denn fiele' diese Spaltung weg, so würde sicherlich ein noch gefährlicheres Prinzip der Teilung an ihre Stelle treten ...“ Thomas Jefferson wußte, daß sich innerhalb jeder politischen Partei unweigerlich Männer finden werden, die aus purem Eigennutz handeln und nur insofern innere Beziehungen zu den Grundsätzen und Ansichten ihrer Partei haben, als diese ihnen zur Erlangung einer einflußreichen Stellung von Nutzen sein könne. Aber er wußte auch sehr genau, daß die Teilung der Politiker in verschiedene Parteien in erster Linie auf den Prinzipien und den Grundideen der Regierung beruht. Schaffte man die Parteien ab, so würden die demokratischen Länder und deren Völker plötzlich ohne Organisation, ohne Führung und ohne bestimmte Richtlinien dastehen, dem Chaos anheimfallen und den Weg für den Mann ebnen, der mit dem Knüppel „Ordnung“ schaffen würde, und sich dabei auf die zu Grabe getragenen Freiheiten der Nation stützte.

Wenn aber die politischen Parteien einen wichtigen Teil des demokratischen Apparates

ausmachen, dann muß es auch Parteiführer,

die Politiker sind, geben.

Der Vorwurf der Korruption

Da allmählich selbst die rigorosesten Kritiker zugeben müssen, daß die höheren Führer der Parteien dem Lande doch von einigem Nutzen sein können, so nehmen sie ihre Zuflucht zu der Behauptung, daß die Geschäfte der niedrigeren Parteifunktionäre keineswegs immer den Interessen des Volkes gleichlaufen oder selbstlos wären. Sie vergessen, daß der Parteiführer, der an der Spitze steht und den sie in den Himmel heben, diese Stellung niemals ohne die unermüdliche und gewöhnlich unbelohnte Arbeit der kleineren Politiker innehaben könnte. Eine Organisation muß sich, wenn sie von Erfolg begleitet sein will, bis auf die niedrigsten politischen Einheiten erstrecken*' „Politik ist eine Pflicht“, sagte Jefferson, und darum dient auch der letzte Parteifunktionär dem Staate.

Was von den Einzelnen gilt, gilt auch von der ganzen Parteiherrschaft; denn ohne diese lokalen Politiker würden die Parteien schnell zerfallen und mit ihrem Zerfall müßte die Demokratie zu bestehen aufhören. Zu höheren Stellungen innerhalb der Hierarchie der Parteien gelangen die politischen Führer einzig und allein durch Beweise ihres politischen Könnens. Sie haben dann die Aufgabe, die politischen Richtlinien, durch die die Partei an das Volk appelliert, zu formulieren, und je bessere Politiker sie sind, desto mehr werden sie sich anstrengen, ihre politischen Maßnahmen mit dem öffentlichen Wohl und dem Willen des Volkes in Einklang zu bringen. Der allgemein gegen die Politiker erhobene Vorwurf der „Korruption“ ist leeres Geschwätz. Nur zu oft haben Politiker Fälle der Korruption unter den als viel ehrbarer angesehenen Geschäftsund Finanzleuten im Interesse des Gemeinwohles aufgedeckt.

Der schottische Historiker und Philosoph Oliver schrieb einmal: „Wenn wir möglicherweise einmal unseren gegenwärtigen Schwierigkeiten entronnen sein werden, dann wird dies nicht etwa deshalb geschehen sein, weil gewisse Theoretiker irgendein schönes neues Prinzip zur Rettung gefunden haben oder weil die Zeitungen ihrem Unmut Ausdruck verliehen und mit ärgerlich ausgestreckten Fingern auf dieses oder jenes deuteten oder weil wir, ihre Leser, voller Aufregung verlangten, daß .endlich etwas geschehen müsse', sondern nur deshalb, weil anständige schwer arbeitende, verständnisvolle und unermüdliche Politiker unsere Angelegenheiten lenkten und ihre Arbeit immer so fortsetzen werden, als ob nichts Außergewöhnliches geschehen würde ... Die Annahme, daß wir uns selbst ohne ihren Beistand helfen könnten, ist eine Illusion, denn die Politik gehört nicht zu den Gewerben, die man nur infolge einer .inneren Erleuchtung' und ohne eingehendstes Studium erlernen kann.“

Der politische Nachwuchs

Es wird vielleicht möglich sein, das durchschnittliche Niveau des politischen Lebens zu heben. Dies kann aber erst dann der Fall sein, wenn fähige junge Leute, die geistig und seelisch für den öffentlichen Dienst geeignet sind, nicht mehr zu der Anschauung verleitet werden, daß an dieser Aufgabe irgendein Makel klebt. Es ist oft schwer, die Vorurteile von Leuten, die sich selbst für vernünftig halten, gegenüber der politischen Laufbahn junger Männer zu verstehen. # . Ihre Meinung deckt sich bestimmt nicht mit der Auffassung eines Jefferson, der jungen Männern die Teilnahme am politischen Leben empfahl und stets hoffte, daß die von ihm unterstützte Universität von Virginia einmal zur geeigneten Ausbildungs- * Stätte für angehende Politiker werden würde.

Heute bedarf die Vorbereitung auf die politische Karriere einer weit größeren Vorbereitung als in früheren Zeiten. Zur Lösung der verwickelten modernen gesellschaftlichen und geschäftlichen Probleme bedarf es einer großen Anzahl besonderer Kenntnisse. Es genügt nicht mit geschichtlichen Tatsachen politischer Philosophie vertraut zu sein, man muß die Probleme der Wirtschaft und der Soziologie unserer Zeit ebenso wie ihre politischen Fragen verstehen und behandeln können. Und seit der moderne Erfindergeist die Entfernungen ausgetilgt und die Völker in bedeutend stärkeres wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis gebracht hat, sollte sich jeder junge Mensch, der sich auf eine politische Karriere vorbe-

reitet, in besonderem Maße dem Studium der internationalen Beziehungen widmen. Hat der junge Politiker so seine intellektuelle Vorbildung abgeschlossen, muß er sich noch in das Studium der politischen Psychologie vertiefen, um später in der Lage zu sein, die Sache, die er vertritt, auch für die breite Masse verständlich weitergeben zu können. Sein ganzer Studiengang muß, kurz gesagt, auf das Ziel, Politiker zu werden, ausgerichtet sein. Immer aber müssen ihm und allen politisch denkenden Menschen die drei Punkte vor Augen stehen:

Demokratien arbeiten am besten auf der Basis verschiedener politischer Parteien.

Politische Parteien können ihre Aufgabe nur mit Hilfe wirklicher Politiker erfüllen.

Schaltet man die Politiker aus, so fegt man auch die Parteien hinweg. Mit der Zerstörung der Parteien aber versinken die Demokratien in einen Zustand der totalen Desorganisation und der Disziplinlosigkeit. Und wenn dem Volk einer Demokratie einmal jede Organisation, jede Führung und jede Disziplin fehlt, dann hat der Faschist endlich die Rechtfertigung für seinen Haß gegen alle Politiker gefunden, dann wird der Tyrann aufstehen, der die Nation mit brutaler Gewalt zu beherrschen versteht.

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