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Das Auf und Ab an der Preisfront

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Die Radiosprecherin bemühte sich um eine bühnengerechte Aussprache der neuesten Nachrichten. Ich lauschte dem Klang ihrer Stimme,.

Was konnte man von normalen Nachrichten denn schon erwarten: Katastrophen aller Arten, die gottseidank schon passiert waren und daher den Hörer hier und jetzt nicht mehr betreffen konnten. Da plötzlich blieb ein Wort hänfen, und schon war ich ganz Aufmerksamkeit: „Der Preisauftrieb...", intonierte die bemühte Sprecherin messerscharf, als gelte es, einem abartigen Schwerstverbrecher das längst verdiente strenge Urteil zu verkünden.

Wenn Preise aufgetrieben

werden, da werde ich stets und sofort hellwach. Wer wäre nicht betroffen, wenn ihm sein mühsam Verdientes in den Händen schmölze, nur weil gewissenlose Treiber die Preise für Unverzichtbares in schwindelnde Höhen jagen! Ich formte die Ohrmuschel zum Trichter, um ja keine Einzelheit der kapitalistischen Schurkerei zu versäumen.

Doch ich hatte die Ohren umsonst gespitzt, anstelle einer aufrüttelnden Neuigkeit hörte ich bloß eine Entwarnung: Der Preisauftrieb fiel nämlich, so stand es schwarz auf weiß im Sprechermanuskript, bloß „gering aus". Man hörte förmlich die Enttäuschung der Sprecherin, • die wohl auch schon gehofft hatte, ihren Hörerinnen und Hörem einen

Skandal von der Preisfront verlesen zu dürfen.

Aber nicht genug der pauschalen Enttäuschung, es folgten noch frustrierende Details. Die Preise hatten sich nämlich im Durchschnitt gegenüber der Vergleichsperiode nur um zwei oder drei Prozent erhöht. Auf jeden Fall geringer als die jüngst erhobenen Forderungen der Gewerkschaft, ja sogar niedriger als das erste Angebot der Arbeitgeber, das die Gewerkschafter entrüstet zurückgewiesen hatten.

Aber nicht genug damit, die Arme mußte noch verlesen, daß dieses und jenes in diesen Tagen sogar billiger zu haben war als noch vor ganz kurzer Zeit.

Immerhin, und man hörte die Erleichterung deutlich, wären die

Mieten gestiegen. Zwar nur um vier Prozent, aber immerhin. Auf die Mietwucherer und Zinsgeier ist wenigstens Verlaß. Aber sonst? Nichts als Enttäuschungen!

Irgendwie wurde ich nachdenklich. Ich stellte mir die Frage, wie ich denn reagiert hätte, wenn mir die sanfte Radiostimme verkündet hätte, daß Dank des segensreichen Zusammenwirkens von Regierung und Opposition, des guten Verhältnisses der Sozialpartner und der Einsicht von Produzenten und Konsumenten, das Preisniveau im letzten Monat nahezu konstant geblieben wäre.

Ich bin sicher, ich hätte nicht hingehört..Hätten Sie's getan?

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