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Klassenkampf mit Schnitzeln

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Hatte es vor wenigen Wochen noch den Anschein, als könnte die „Volksstimme“ in ihren Aufmachern und die „Arbeiter-Zeitung“ in Serienartikeln über den Sommer Klassenkampf mit dem Kalbschnitzelpreis betreiben, so hat sich die Situation nunmehr etwas beruhigt. Dennoch: Die Serie der Preisnadelstiche hat in der Bevölkerung einen Preisunmut ausgelöst, den nur die beginnende Urlaubszeit überdecken konnte. Obwohl die Regierung immer wieder darauf hinweist, daß die Lebenshaltungskosten in den letzten drei Jahren um nur 9,2 Prozent gegenüber 11,9 Prozent in den letzten drei Koalitionsjahren angestiegen sind, konnte sie damit bei der Bevölkerung nicht ganz durchdringen, da diese Ziffern vor allem für die Hausfrauen im leeren Raum schweben. Der Hinweis, daß eine dreiprozentige Steigerung des Preisniveaus pro Jahr stabile Währung bei gutem Wirtschaftswachstum bedeutet, kann an der Betrachtungsweise der Preisfrage aus der Hausfrauenperspektive nichts ändern: Die Hausfrauen beurteilen die Preissituation aus einer täglichen Momentaufnahme heraus, bei der die Tatsache nicht bewußt wird, daß die Verknappungserscheinungen beim Haushaltsgeld weniger auf die durch Lohnerhöhungen mehr als ausgeglichenen Preissteigerungen, sondern eben auf den gegenüber vor zehn Jahren wesentlich höheren Lebensstandard und die damit erheblich vermehrten Ansprüche zurückzuführen sind.

In der Politik ist daher die Preis-, frage nichts Rationales, sondern eine überaus empfindliche emotionelle Sache. Bei Meinungsumfragen sehen etwa die Hälfte der Befragten keine Gefahr für den Schilling, während ebenfalls rund 50 Prozent der Ansicht sind, daß die Preise in letzter Zeit stärker gestiegen sind als sonst. Die Ursache für diese „normale“ Preisunzufriedenheit ist meist am Lebenshaltungskostenindex nicht ablesbar. Tut sich aber etwas bei den Preisen, so schnellt der Prozentsatz der Preis-Unzufriedenen hinauf, egal ob und wie stark sich etwas tatsächlich auf das Preisniveau auswirkt. Angefangen hat es heuer mit einer Qualitätsverbesserung bestimmter Wurstsorten im Interesse der Konsumenten. Die sogenannten „Brätwürste“ (von der Extrawurst bis zum Lefoerkäs) müssen ab 15. Mal

mit größeren Anteilen höherqualitativen Fleisches produziert werden. Das Verständnis der Bevölkerung dafür, daß höhere Qualität auch Preiskorrekturen bedingt, wurde durch zweierlei erschüttert: Erstens durch gezielte Oppositionspropaganda, die hier eine Chance sah, die Regierung mit einer von ihr gesetzten Maßnahme unpopulär zu machen, und zweitens durch die Taktik einer Vielzahl von Fleischhauern und Wurstproduzenten: Nicht nur, daß diese „schwarzen Schafe“ auch die Preisspirale für die nicht von der Qualitätsverbesserung betroffenen Wurstsorten in Bewegung setzten, gab es auch welche, die gleich zweimal an der Preisschraube zu drehen versuchten: zum erstenmal Mitte Februar, als die dreimonatige Übergangsfrist zu den neuen Wurstrezepten begann, und zum zweitenmal, als die Übergangsfrist mit 15. Mai endete. Offensichtlich fielen die Preiserhöhungen für die Qualitätsverbesserungen teilweise ziemlich saftig aus.

Es bedurfte erst harter Auseinandersetzungen in der Paritätischen Kommission und der Durchführung schärfster Kontrollen des Wurstpreisniveaus durch die Wirtschaftspolizei, um hier wieder alles einigermaßen ins rechte Lot zu bringen.

Minibombe Zuckerpreis

Noch während die Auseinandersetzung über die Wurstpreise die Gemüter erhitzte, führten gute Rinderexportchancen in die EWG mit gegenüber früher besseren Nettopreisen zum zweiten Nadelstich auf der Preisfront: kurzfristigen Verknappungserscheinungen bei Kalb- und Rindfleisch lösten klassenkämpferische Kalbsschnitzelauf macher in der Linkspresse aus, wobei allerdings der gegenüber dem Vorjahr kaum erhöhte Schweinefleischpreis nicht einer Erwähnung wert erachtet wurde. Nach einigem Zögern dann rasch verfügte Importfreigaben und Auslagerungen von Verarbeitungsfleisch aus den Kühlhäusern konnten den vor allem in der Fremdenverkehrssaison gefährlichen Zug nach oben abstoppen. In die etwas erregte Fleischpreisszene schlug dann die Minibombe des Zuk-kerpreises ein: Die Regierung hatte die Erhöhungswünsche jahrelang in bester Absicht zurückgestaut, obwohl die Zuckerindustrie seit der letzten

Preiserhöhung über 30 Prozent Lohnerhöhungen im amtlich geregelten Preis unterzubringen hatte. Die Regierungspartei stand vor der schwierigen Entscheidung, entweder ihre Grundsätze von der freien Marktwirtschaft in diesem Fall über Bord zu werfen oder wenige Monate vor der Wahl die unangenehme Aufgabe auf sich zu nehmen, einen amtlich geregelten Preis hinaufzusetzen. Das Ergebnis war eine geringfügige Preiskorrektur von 30 Groschen je Kilogramm, die weit unter den Forderungen der Zuckerindustrie lag. Obwohl sich gerade diese Erhöhung de facto kaum auf die Geldbörse auswirkt, drohte sie das Faß des Preisunmuts zum Uberlaufen zu bringen. Das hatte auch die Arbeiterkammer bemerkt, der dann die Notwendigkeit der Festsetzung der Schwellenpreise für Eier und Geflügel gerade recht kam, um auf der Preiswelle zu reiten. Bekanntlich war schon vor Monaten festgelegt worden, daß mit 1. Juli für diese Waren Schwellenpreise beim Import gelten sollten.

Was ist im Herbst?

Die Auseinandersetzung entbrannte über die Höhe der Schwelle, wobei die verhandlungstechnische Anfangsforderung der Landwirtschaft so hoch lag, daß sich die Arbeiterkammervertreter aus dem Schwellen-preisgremium de facto zurückzogen. Die Folge: Die Schwellenpreise konnten erst in letzter Minute ohne diesen Beirat in zähen Verhandlungen zwischen den zuständigen Ministerien festgesetzt werden. Die psychologische und letztlich für die Beurteilung der Regierungspartei an der Wahlurne entscheidende Auswirkung der zum Teil in Wirk-' lichkeit gar nicht wirksamen Preisnadelstiche ist jedoch noch immer an der Kippe: Wenn es der Regierungspartei nicht gelingt, in den nächsten Monaten bis zur Wahl alles zu ver-* meiden, was sich irgendwie auf die Preise auswirken könnte oder sie auch nur ins Gespräch bringt, dann wird sie auch für Preisbewegungen verantwortlich gemacht werden, die sie in einem Staat mit freier Marktwirtschaft einfach gar nicht im Griff haben kann; dann aber wird sie der Opposition auch Wahlkampfmunition liefern, welche diese sicherlich im Sinn eines Klassenkampfes mit dem Schnitzelpreis einsetzen wird.

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