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Konsumstoß ins Leere

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Um volkswirtschaftliche Begründungen ihrer Aktionen sind Gewerkschaften nie verlegen. Den Vorwurf, die Forderungen der laufenden Runde seien zu hoch, um so mehr, als die Lohnkosten der Wirtschaft auch noch durch die Arbeitszeitverkürzung am 1. Jänner 1975 und durch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle für Arbeiter steigen werden, parieren sie mit konjunkturpolitischen Überlegungen: Die Investitionskonjunktur werde schwächer werden und der Exportboom — in diesem Jahr die hauptsächlichste Konjunkturstütze — werde aufhören. An ihrer Stelle müsse nun, um die Konjunktursätze aufrecht zu erhalten und die Arbeitsplätze zu sichern, eine Konsumkonjunktur treten. Deshalb seien drastische Lohnerhöhungen notwendig und lägen im Interesse der Allgemeinheit.

Diesen Argumenten gegenüber ist sogar der Nationalbank-General Kienzl, der selbst aus der Gewerkschaftsbewegung kommt, skeptisch: Er fürchtet, daß die zusätzliche Kaufkraft in erster Linie in Autos und Benzin umgesetzt wird, worüber sich zwar die ausländischen Autofabriken und die Ölscheichs freuen werden, womit aber für die Sicherheit der

Arbeitsplätze in Österreich herzlich wenig getan ist.

Auch sonst läßt sich’ gegen einen Konsumstoß mitten in einer Zeit, in welcher angesichts der hohen Inflationsrate und des steigenden Außenhandelsdefizits die Experten in allen westlichen Industrieländern die Kaufkraft eher vermindert sehen wollen, einiges einwenden. Tatsächlich sind auch in vielen Staaten die Reallöhne bereits rückläufig. Sehr viel wird übrigens auch die reale Nettolohn-Zuwachsrate dank Inflation und Steuer auch in Österreich nicht ansteigen, aber der psychologische Effekt der starken Nomi- na-llohnsteigerung mag durchaus — zunächst wenigstens — eine größere Kauffreudigkeit nach sich ziehen. Ja diese wirft sogar bereits ihre Schatten voraus, wie die ersten Meldungen über das Weihnachtsgeschäft erkennen lassen.

Damit aber der Konsumstoß nicht zu hart ausfalle, haben sich schon freiwillige Helfer gefunden, welche in die Bresche zu springen und den Konsumstoß aufzufangen bereit sind, allen voran — wie so oft bei solchen Gelegenheiten — die Gemeinde Wien, die schon emsig bestrebt ist, „Stoßfänger“ für die zusätzliche Kaufkraft anzustellen. Sie hat schon einige dra stische Tariferhöhungen parat, damit die Einwohner Wiens nur ja recht deutlich merken, daß mit dem Einzug von Bürgermeister Gratz und Finanzstadtrat Mayer der alte Wind wedterweht.

Bei den Stromtarifen sollen nach den Intentionen der Gemeindeverwaltung die Grundpreise für die beiden ersten Tairifräume einer Wohnung von 2 auf 14, für drei Tarifräume von 7,50 auf 24 Schilling erhöht werden. Gerade diese Art von Preissteigerung entbehrt jeder nationalökonomischen Rechtfertigung: Es ließe sich noch argumentieren, daß es im volkswirtschaftlichen Interesse liege, nämlich Energie zu sparen, wofür die Konsumenten durch Preiserhöhungen motiviert werden sollen. Doch für derartige Feinheiten haben die Wiener Stadtwerke wenig Verständnis. Im Gegenteil, sie sind bestrebt, sich dagegen abzusichem, daß jemand auf die Idee käme, den Verbrauch einzuschränken und dadurch ihre Einnahmen zu verringern. Deshalb werden die Grundpreise erhöht, die jeder zahlen muß, ganz gleich, wieviel Kilowattstunden er konsumiert.

Auch bei den übrigen Tarifen will sich die Gemeinde Wien nicht lumpen lassen: Bei Gas sollen die Ver braucherpreise gleich um 60 Prozent angehoben und in der Straßenbahn die Fahrscheine von sechs auf acht Schilling verteuert werden.

Die Wiener können also beruhigt sein. Der Abnehmer für ihre Lohnerhöhungen hat sich schon gefunden. Und die Inflationsspirale wird wieder ein paar Drehungen nach oben machen.

Das Pikante an diesem Beitrag der Gemeinde Wien zur Stabilitätspolitik ist, daß er ausgerechnet zu einem

Zeitpunkt erfolgt, in dem die Regierung und die Gewerkschaften sich für das Preisgesetz als Wundermedizin gegen die Inflation stark mato. Fast gewinnt man den Eindruck, Wien möchte demonstrieren, wie nutzlos das ganze Gesetz ist: Denn gegen die kommunalen Tariferhöhungen nützt keine Paritätische

Kommission und kein Handelsminister.

Den Wiener Tariferhöhungen stehen im übrigen auch die Gewerkschaften, die so eifrig für das Preis- gesetz eintreten, positiv gegenüber. Sie sehen in ihnen ebenso wie im Konsumstoß einen Beitrag zur Beschäftigungspolitik. Demenstpre- chend setzen sich auch die Betriebsräte jener Firmen des Waggonbaus und der Elektrobranche, die von den Verkehrsbetrieben Aufträge erwarten, vehement für die Tariferhöhungen ein.

Der ganze Konsumstoß mittels Lohnerhöhungen entpuppt sich also bei näherer Betrachtung als eine Hilfsaktion für die zerrütteten öffentlichen Finanzen. Denn daß dem Beispiele der Gemeinde Wien sehr bald auch andere öffentliche Betriebe nacheifem werden, steht außer Zweifel. Die Post hat bereits ihre Intentionen bekannt gegeben, andere werden folgen.

Angesichts der Misere der Staatsfinanzen ist nicht von der Hand zu weisen, daß auch der Finanzminister auf den Geschmack kommen sollte, am „Konsumstoß“ zu partizipieren. Pläne zur Erhöhung der Mehrwertsteuer werden bereits kolportiert. Ähnliches scheint sich auch für bestimmte direkte Steuern anzubahnen.

Mag sein, daß im Hinblick auf die bevorstehenden Nationialratswahlen derartige Intentionen noch unterdrückt werden und lieber ein spektakuläres Budgetdefizit in Kauf genommen wird, das ziemlich sicher weit über den — völlig unrealistischen — prälimierten Ansätzen liegen wird. Aber nach den Wahlen kann sich das Publikum wahrscheinlich auf einiges gefaßt machen.

Nach allem, was wir bisher wissen, steht jedenfalls schon eines fest: Die von den Gewerkschaften „erkämpften“ Lohnerhöhungen werden nur einen Konsumstoß ins Leere bringen.

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