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Normale Mörder?

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Die „Frankfurter Allgemeine“ forderte jüngst Schluß der Debatte, doch so leicht wird dies nicht eintreten, nachdem bekannt wurde, daß vor einiger Zeit die Terroristen Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock ein Gnadengesuch an Bundespräsident Richard von Weizsäcker gerichtet hatten.

Beide wurden wegen Mordes im Fall Schleyer und Ponto rechtskräftig zu lebenslangem Gefängnis verurteilt. Speitel befindet sich seit 1978, Boock seit 1981 in Haft. Ihr Gnadengesuch begründet sich auf ihre Einsicht, daß diese Morde schwere Fehler gewesen seien. Sie machten auch glaubhaft, dem Terrorismus abgeschworen zu haben.

Das Gnadenrecht des deutschen Bundespräsidenten ist im Artikel 60 Absatz 2 Grundgesetz geregelt und bezieht sich nur auf jene Urteile, die in erster Instanz von einem Bundesgericht oder von ihm beauftragten Landesgericht gefällt wurden.

In Deutschland ist die Rechtspflege Landessache, nur bestimmte Straftaten (etwa Landesverrat oder Terrorismus) werden von Bundes wegen behandelt. Erstaunlich dabei ist im Unterschied zu Österreich die verfassungsrechtliche Stellung des deutschen Bundespräsidenten, der ansonsten sehr geringe Befugnisse besitzt. Er übt das Gnadenrecht ohne vorherigen Vorschlag aus, lediglich nach Artikel 58 hat der zuständige Justizminister gegenzuzeichnen.

In Österreich hat der Bundespräsident nach Bundesverfassungsgesetz Artikel 65 Absatz 2 lit. c ebenfalls das Begnadigungsrecht, jedoch ist er diesbezüglich gemäß Artikel 67 Absatz 2 an den Vorschlag des Justizministers gebunden.

Während also in Österreich über Für und Wider einer Begnadigung der Justizminister abzuwägen hat und bei positiver Erkenntnis dem Bundespräsident die Begnadigung vorschlägt (die er ablehnen kann), liegen in der Bundesrepublik die Dinge umgekehrt. Hier ist der Bundespräsident der Agierende und der Bundesjustizminister der Reagierende.

Die Diskussion in der Bundesrepublik spießt sich letztendlich an einem Punkt: Warum sollen Terroristen bevorzugt .behandelt werden? Speitel sitzt zehn, Boock gar nur sieben Jahre.

Nach einer bundeseinheitlichen

Regelung kommt normalerweise eine Strafaussetzung für lebenslang Verurteilte erst nach 15 Jahren in Frage. Beide Terroristen liegen deutlich unter dieser Grenze, sodaß bei einer derartigen Begnadigung rechtspolitische Konsequenzen befürchtet werden.

In der derzeitigen Diskussion ist unterschwellig jene Stimmung vorhanden, wonach Terroristen in ihren Straftaten anders beurteilt werden sollen, da sie ja gewissermaßen „Gesinnungstäter“ sind, gleichsam für eine vermeintlich „gute Sache“ gekämpft haben.

Eine Pikanterie am Rande ist, daß deren Begnadigung gerade von jenen Kreisen vertreten wird, die ansonsten den Obrigkeitsstaat ablehnen. Aber das Gnadenrecht der Staatsoberhäupter in den republikanischen Verfassungen Europas sind Relikte des fürstlichen Absolutismus vergangener Zeiten, wonach der Landesherr als oberster Gerichtsherr Recht und Gnade nach eigenem Gutdünken sprechen konnte.

In den politischen Lagern herrschen Uneinigkeit und Unsicherheit. Die Grünen sind dafür, auch die Mehrheit der SPD wird es sein. Innerhalb der CDU und der FDP sind die Meinungen geteilt, die CSU ist strikt dagegen.

Dort fragt man sich, ob eine allzu frühe Begnadigung nicht als falsches Signal aufgefaßt werden und zu neuen Terrorakten Anlaß geben könnte. Und auch die Gleichbehandlung mit „normalen“ Mördern ist zu hinterfragen, die nach den Erkenntnissen der Kriminologie weniger aus krimineller Entschlossenheit als in einer für sie nicht beherrschbaren Konfliktsituation gehandelt haben.

Bundespräsident von Weizsäk-ker, selber einmal Rechtsanwalt, ist in keiner beneidenswerten Entscheidungssituation. Er, an Machtbefugnissen sonst arm, scheint die Diskussion darüber zu genießen. Denn nachdenkliche und argumentative Intelligenz sind seit jeher seine Stärke.

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