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Putz für Leib und Seele

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„Auf Kur gehen“ - das tun nur ältere Menschen, die ihre chronischen Leiden lindern und gemächlich durch den Kurpark spazieren wollen. Diese Vorstellung stimmt längst nicht mehr. Immer mehr „Zivilisationskranke“ lassen sich durch Bäder, Güsse, Wik-kel, Moor- und Schlammpackungen, Diät- oder Kneippkuren von der Natur über den Berg helfen.

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„Auf Kur gehen“ - das tun nur ältere Menschen, die ihre chronischen Leiden lindern und gemächlich durch den Kurpark spazieren wollen. Diese Vorstellung stimmt längst nicht mehr. Immer mehr „Zivilisationskranke“ lassen sich durch Bäder, Güsse, Wik-kel, Moor- und Schlammpackungen, Diät- oder Kneippkuren von der Natur über den Berg helfen.

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Schon die obligate - fast möchte man sagen: berüchtigte -Kur-Konditorei zeigt den himmelhohen Unterschied zwischen Kur und Kur auf. Nämlich zwischen Kur im Sinne von Erholung und Genesung sowie Kur als Schlemmerferien mit ein bißchen Pritscheln und geknetet werden.

Ein Beispiel einer typisch österreichisch angelegten Entschlak-kungskur: Verdrossen sitzen kurzatmige 140-Kilo-Männer zur Mittagszeit bei Tisch und stochern lustlos im 400-Kalorien-Menü herum. Dazu gibt's Mineralwasser und Kräutertee. Nachmittags hebt ein heimlicher Be-

such im Kur-Cafe (zwei Torten, aber eisern kein Stück Zucker im Kaffee mit Schlagobers) die Stimmung. Deren Höhepunkt tritt erst abends ein — im nahen Gasthaus „Zum fröhlichen Kurgast“ werden saftige Stelzen angeboten. Und ein paar Vierterl (Gespritzte, man ist ja schließlich auf Kur!) und ein Schnapserl. Oder fünf.

Daheim steht das ganze Kurprogramm vor einem imaginären Richter und entgeht der Verurteilung nicht: „Sinnlos! Hinausgeworfenes Geld! Drei Wochen gekürt und vier Kilo zugenommen!“

Jawohl, sinnlos. Denn das Wort Kur hat irgendwie mit Heüung zu tun. Die Durchführung erfordert daher in erster Linie echten Willen zur Gesundung. Wer an Eß-und Trinkgelagen interessiert ist, kann das viel büliger ohne Kurtaxe und vor allem ohne lästige Auflagen haben.

Sollen demnach nur Kranke auf Kur gehen? Eine Antwort auf diese Frage fällt gar nicht so leicht. Denn sie kann nur nach Beantwortung einer zweiten Frage gegeben werden: Was ist krank? Streng genommen, gibt es ja keine völlig gesunden Menschen mehr. Denn jede Störung des Wohlbefindens läßt sich schon nicht mehr mit dem Begriff „Gesundheit“ vereinbaren.

Nicht ausschließlich der

Schmerz darf dabei zur Bewertung herangezogen werden. Alle Symptome nervlicher Uberbeanspruchung (kurz „Streß“ genannt), aber auch Traurigkeit, Müdigkeit und Angst widersprechen der Definition von Gesundheit, also geistigem und körperlichem Wohlbefinden.

In diesem Sinne ist praktisch jeder von uns irgendwann in seinem Leben potentieller Kur-Kandidat. Und sollte sich eine Chance zur Regeneration — falls sie ihm geboten wird — auch nicht entgehen lassen. Meistens übernimmt der Hausarzt das Management, oder zumindest hilft er mit Empfehlungen. Mitunter werden Kuraufenthalte auch über Krankenhäuser vermittelt und von den diversen Kassen brav bezahlt.

Eine Kur erfüllt somit bei konsequenter Durchführung den Zweck, wieder gesund zu werden, Ängste loszuwerden, sich schlicht und einfach wieder wohl zu fühlen. *

Muß es aber erst zu gröberen Störungen des Wohlbefindens

kommen, bevor man sich zur Kur entschließt? Seit Fitmacher Willi Dungl,.Baidur Preiml und einige andere den Begriff des „Biotrainings“ geprägt haben, gewinnt immer mehr ein Gedanke Oberhand, der eigentlich schon recht alt ist: Nämlich, daß Vorbeugen noch immer günstiger bleibt als Heüen.

Die Zahl jener Kurorte in Osterreich, die unter dieser Flagge segeln, wächst von Jahr zu Jahr. Sie alle bauen auf drei Säulen: Ernährung, Bewegung und

Entspannungstraining. Denn fast alle Störungen des Wohlbefindens (mit Ausnahme von Unfällen) beruhen auf falscher Ernährung, Bewegungsmangel, Streß sowie zusätzlichen Risikofaktoren wie Zigaretten und zuviel Alkohol.

Um einen Kuraufenthalt zur Vermeidung von körperlichen und seelischen Schäden wirklich

sinnvoll zu gestalten, bedarf es unbedingt der richtigen Einstellung des Kurgastes zur Behandlungsstrategie. Wer sich mit karger Kost, viel Sport, mit Entspannungsübungen und Rauchverbot nicht abfinden kann, wirft tatsächlich sein Geld beim Fenster hinaus. Er zieht praktisch keinen Nutzen aus einem Kuraufenthalt und sollte besser darauf verzichten.

Jedoch auch eine konsequent durchgeführte Kur kann unter bestimmten (und leider häufig herrschenden) Umständen nur geringen Nutzen bringen. Viele Kurgäste vergessen, daß sie während der Kurdauer nicht nur passiv über sich ergehen lassen sollen, was eben angeordnet würde. Viel wichtiger ist die Umsetzung vernünftiger Ernährung, regelmäßiger körperlicher Betätigung und der Bewältigung negativer Nervenanspannung für daheim.

Denn nur dann hat die Kur Sinn als Dauerlösung gehabt. Fällt man zwei Tage nach der Rückkehr aus dem Kurort wieder in seine alten Lebensgewohnheiten, kann man fast mit der Stoppuhr in der Hand darauf warten, bis das (oft teuer erkaufte) Wohlbe-

finden wieder schwindet.

Sieben Millionen Österreicher schleppen insgesamt rund 20 Millionen Küo Ubergewicht mit sich herum. Eine Zahlenspielerei mit ernstem Hintergrund. Denn auf Ubergewichtige lauern Herztod, Hirnschlag, Nierenschäden, Blindheit, Impotenz, um nur einige markante Folgen zu nennen. Das hört und liest man ohnedies jeden Tag.

Trotzdem entschließen sich viele „Dickerchen“ nur aus rein kosmetischen Gründen zu Abmagerungskuren. Das geradezu klassische Beispiel einer sinnlosen Kur: In drei Wochen durch Nulldiät oder irgendeine als wundersam angepriesene Maßnahme fünf bis 12 Kilo abgenommen. Stolz heimgekehrt, sich mit Heißhunger auf alles Eßbare gestürzt und innerhalb der nächsten drei Wochen sechs bis 13 Kilo wieder zugenom-

men. Ein Einzelfall? Nein, der Alltag...

Betrachten Sie eine Kur daher am besten als Unterricht, als Anleitung zur Änderung schlechter Lebensgewohnheiten. Gelingt dieses Vorhaben wenigstens halbwegs (Ärzte werden ohnedies zunehmend bescheidener in ihren Ansprüchen an die Patienten), waren die Kurspesen keine Fehlinvestition.

Wohin man allerdings fährt, hängt nicht vom Lebensalter und vom individuellen Bedarf ab, sondern von den jeweiligen Beschwerden und dem entsprechenden Angebot.

Der Autor ist Arzt und Wissenschaftspublizist in Wien.

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