Die Karriere eines zuag'rasten Worts

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Wellness ist ein noch verhältnismässig junger MarketingBegriff. Er umfasst alles, was mit Ausspannen, Wohlfühlen, Sich-Besinnen auf eine andere Ernährung, auf eine gesündere Lebensweise, aber auch auf geistige Werte und mit Einkehr zu tun hat. Wellness ist aber auch ein semantisches Dach für ein neuartiges Zugehen kirchlicher Stellen auf den Menschen.

Einst ging man ganz einfach auf Kur. Tauchte nicht nur tief ins heilende Wasser oder ließ sich nach den Regeln des Pfarrers Kneipp kalt begießen, sondern tat auch wandernd weiteres für seine Gesundheit. Berge besteigend zum Beispiel, falls in der Nähe und nicht allzu steil und hoch. Auch nicht zu viel und zu fett essend, sofern man die nötige Willenskraft für solche mentale Kraftakte hatte. Man zog sich auch zurück, um unter der Anleitung weiser Leute einmal über sich selbst nachzudenken, und darüber, ob das eigene Leben so lief, wie man es sich als junger Idealist vorgestellt hatte. Was ohne Anleitung gar nicht so leicht ist, weil da die Gedanken allzu leicht in ihre gewohnte Umlaufbahn (vorzugsweise um den eigenen Nabel) einschwenken. All das tut man auch heute noch, aber bei Leuten, die auf der Höhe der Zeit sind, hört das alles und noch viel mehr neuerdings auf den Sammelbegriff Wellness.

Mit den neuen Wörtern ist es ein bisschen so wie mit den neuen Gesichtern in großen Büros. Niemand macht uns mit ihnen bekannt, außer wir haben unmittelbar mit ihnen zu tun. Mitunter sind sie schon wieder gefeuert, bevor wir sie bemerkt haben. Nicht nur die neuen Gesichter, sondern auch die neuen Wörter. Aber Wellness ist nach schätzungsweise acht Jahren, oder sind es schon zehn, noch immer da. So genau lässt es sich nicht sagen. So lebt man in unserer Konsumgesellschaft eben neben einander her. Aber Wellness hat in dieser Zeit eine erstaunliche Karriere geschafft. Wellness hat auch so manchen Konkurrenten, mir fällt zum Beispiel die etwas verhatschte Wortschöpfung "Kurlaub" ein, bravourös aus dem Feld geschlagen.

Wellness ist hierzulande zweifellos ein Modewort. Welchen Glücksfällen, welchen geheimen Kräften, verdankt es seinen Aufstieg? Ganz einfach: Es ist zugereist. Zuag'rast. Aus Amerika oder England muss man kommen, um bei uns etwas zu werden, wenn man ein Wort ist. Vielleicht ist die Überschwemmung mit englischen Wörtern einfach eine bittere Rache für die beiden Wortschöpfungen, die wir den Angelsachsen aufs Auge gedrückt haben: Kindergarten und Weltanschauung. Vor allem unter der Weltanschauung stöhnt in Amerika mancher noch heute. Aber bei näherer Betrachtung kann die These nicht stimmen. Denn Frankreich hat England und Amerika weder mit Kindergarten noch mit Weltanschauung beglückt und ächzt trotzdem so unter seinem "Franglais", dass vor Jahren sogar ein Gesetz verabschiedet wurde, wonach Firmenschilder mit englischen Wörtern eine Übersetzung enthalten mussten. Aber wie übersetzt man Big Mac? Da denkt man ja wirklich an den Schaffner in der Prager Straßenbahn, der unter der deutschen Besatzung, als die Weisung erging, alle Stationsnamen zuerst in deutscher Sprache anzusagen, in den Waggon rief: "Museum! Museum! Erste Wort Deitsch!" Big Mac bleibt Big Mac.

Und Wellness bleibt bis auf weiteres Wellness. Wellness hat nämlich auch deshalb so eine fabelhafte Karriere gemacht, weil unter seinem semantischen Dach so viel Platz hat, wofür es in der deutschen Sprache keinen Überbegriff gibt. Den braucht man aber, weil all das, was da sprachlich ganz und gar nicht zusammengehört, in der Zeit- und Ausgabenplanung vieler Menschen genau dies tut: Es gehört zusammen. Es hat mit der Gesundheit zu tun und mit der Freizeit und mit der Einkehr zu sich selbst und mit dem Wohlfühlen und mit den guten Absichten, etwas an seinem Leben zu ändern. Da suche doch einer ein deutsches Wort, das all diese mindestens zu einem großen Teil sinnvollen und in unseren Köpfen positiv besetzten Dinge in sich einschließt.

Natürlich könnte man auch das deutsche Wort für Wellness nehmen, bedeutet doch Wellness nichts anderes als Wohlbefinden. Doch bei Wohlbefinden denken wir an allzu viel von dem, was das Leben lebenswert macht, ohne etwas zu kosten. Bei Wellness weiß man: Das wird etwas kosten. Wohlbefinden? Auch allein oder zu zweit auf einer Bank im Mondenschein befinden wir uns wohl. Oder in einer klaren Nacht unter den Sternen. Oder auf einer Wanderung in den Bergen. Oder einfach in netter Gesellschaft. Aber die Notwendigkeit, neue Märkte zu schaffen, führt zur Kommerzialisierung aller Lebensäußerungen. Voll Schrecken las ich einst das Plädoyer eines altgedienten österreichischen Handelsdelegierten für einen "Markt der ideellen Werte": Es fehle noch "an vermarktbaren Ideellgütern und auch an Bemühungen, solche zu entwickeln", zum Beispiel nach ideellem Wohlbefinden orientierte Konsumberatung. Menschliche Beziehungshilfen, aber auch die Beziehung des Menschen zu Natur und Kosmos würden sich für eine marktorientierte Aufbereitung eignen, meinte der Autor, noch dazu in der FURCHE. Wie Midas alles zu Gold, muss die freie Marktwirtschaft halt leider alles zu Geld machen. Wohlbefinden scheidet also als Rubrik aus. Bewahren wir uns die sprachlichen Barrieren zwischen dem Wohlbefinden, das nichts kostet, das uns geschenkt wird, und Wellness, die wir kaufen dürfen.

Wellness entspricht, wenn man sich etwas Zeit nimmt und verschiedene Wellness-Angebote durchblättert, einem tiefen Bedürfnis unserer Zeit. Einer Notwendigkeit. Nichts gegen die Sache! Sie ist ja auch alles andere als neu, sie ist seit Jahrhunderten bewährt. Schon Goethe stieg zwecks Anregung seiner Gedanken und seiner Verdauung auf den Brocken und fuhr regelmäßig nach Karlsbad, wenn auch letzteres erst ein paar Jährchen nach ersterem, konsumierte also Wellness, ohne es zu wissen.

Etwas hat sich natürlich schon sehr geändert. Bis weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus wurde all das, was man heute unter Wellness zusammenfasst, nur sehr exklusiv beworben, weil sich diese Dinge sowieso nur ein winziger Prozentsatz der Bevölkerung leisten konnte. Heute können alle wegfahren, oder im Urlaub etwas für ihre Gesundheit tun, oder für ihren Geist, oder sogar zwei, ja alle drei dieser jede für sich so verlockenden Möglichkeiten verbinden. Was unweigerlich bedeutet, zwischen sinnvollen Angeboten und der Spreu (überhaupt oder im konkreten Fall) zu unterscheiden und das Passende für sich auszuwählen.

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