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Koalition als Popanz

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KOALITION“ vom lat. coalescere = zusammenwachsen bedeutet im weiteren Sinn einen Zusammenschluß von Personen und! sozialen Gebilden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Im engeren Sinn versteht man unter Koalition ein Bündnis von politischen Parteien zum Zweck der Regierungsbildung und -Stützung. (Staatslexikon, 6. Auflage, 4. Band, Verlag Herder, Freiburg.) POPANZ (vom tschech. bobek, „Schreckgestalt“), Schreck- und Tmgbild. (Meyers Lexikon.)

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KOALITION“ vom lat. coalescere = zusammenwachsen bedeutet im weiteren Sinn einen Zusammenschluß von Personen und! sozialen Gebilden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Im engeren Sinn versteht man unter Koalition ein Bündnis von politischen Parteien zum Zweck der Regierungsbildung und -Stützung. (Staatslexikon, 6. Auflage, 4. Band, Verlag Herder, Freiburg.) POPANZ (vom tschech. bobek, „Schreckgestalt“), Schreck- und Tmgbild. (Meyers Lexikon.)

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In. . den traditionellen westeuropäischen Demokratien, Großbritannien ausgenommen, und in den skandinavischen Staaten, aber auch in Italien und in anderen europäischen Ländern, in denen das System der parlamentarischen Demokratie praktiziert wird, ist die Mehrparteienregierung keine Seltenheit, sondern vielmehr oft der Regelfall. In der Österreich benachbarten Schweiz, deren demokratische Traditionen hinter denen der angelsächsischen Länder nicht zurückstehen, hat sich trotz Mehrheitswahlrecht (Verhältniswahlrecht nur in wenigen Kantonen) das System der Mehr- oder Allparteienregierung allgemein entwickelt: Die Regierungsmitglieder finden sich im Bund und in den Kantonen mit wenigen Ausnahmen zu loyaler Zusammenarbeit bereit; ein Vorgang, der sich in den Parlamenten und parlamentarischen Kommissionen fortsetzt. Die Stellung einer eigentlichen Opposition nehmen im Bund und in der Mehrzahl der Kantone nur kleine Parteien ein. Der freiwillige Proporz als wesentliches Kennzeichen des politischen Lebens setzt sich bei zahlreichen weiteren Wahlen (so be: der Bestellung der Gericht* •und, zum Teil auch, bei der Besetzung von Verwaltungsstellen) fort. Es ist bekannt, daß den Vätern der österreichischen Bundesverfassung aus 1920 dieses auf Ausgleich und Kompromiß abgestellte schweizerische System näher lag als das unter ganz anderen Verhältnissen in England ausgebildete Majorzsystem. Die Geschichte der Republik Österreich kennt auch nur zwei Einpartei-majorzsy steine von größerer Bedeutung:

Das sozialidemokratische Einparteien-regime, das von 1919 bis 1934 im Wiener Rathaus bestanden hat. Die seit dem 18. April 1966 im Parlament und auf dem Ballhauspl'atz bestehende Einparteienregierung der österreichischen Volkspartei. Bis zum 18. April 1966 war das 1945 entstandene Allparteien- und später Mehrpartefenregime trotz beständiger Kritik und begründeter Einwendungen als ein Regelzustand hingenommen worden. Da zwischen 1949 und 1966 keine der im Nationalrat vertretenen politischen Parteien über eine absolute Mehrheit der Mandate verfügte, wurde die jetzt schon ein wenig legendäre „österreichische Koalition“ selbst von jenen als unvermeidbar akzeptiert, die ansonsten eine Koalitionsregime nur als Ausnahme und zur Beseitigung von Notständen in der Form eines „National Government“ gelten lassen möchten. Auf die Frage, ob die internationale Lage und die Situation der Republik Österreichs im Schnittfoereich der Blöcke das Zutreffen einer solchen Notlage jetzt und in Zukunft zu verneinen gestattet, soll hier nicht eingegangen werden. In den fünfziger Jahren, in der Ära Julius Raab, nannte man jedenfalls die in Österreich bestehende „Koalition“ das beständigste und verläßlichste Regime in Europa. Ohne diese Einschätzung hätte es keinen Staatsvertrag und kein ungeteiltes Österreich gegeben. Obwohl es auch in dieser Ära Ansätze einer „Dritten Kraft“ und Reste einer kommunistischen Opposition im Parlament gegeben hat, folgte einer von ÖVP und SPÖ getragenen Regierung die nächste derselben Art. So wie nur die Aufregungen der vorangegangenen Wahlkampagne abgeklungen und die Äußerungen des Übermuts,, der. Sieger „unddes Mißmuts der • Verlierer ausgetauscht waren, pendelte der Ausgleich und das Kompromiß ein. Proporz war für die im alten Österreich herangewachsenen Politiker kein Unding; in allen Ministerien, Statthaltereien usw. war der nationale und konfessionelle Proporz, der politische gar nicht gerechnet, unvermeidlich gewesen. D'a es auf Grund der in zahlreichen Wahlentscheidungen gewonnenen Erfahrungen in der österreichischen Innenpolitik so etwas wie ein Gleichgewichtsprinzip zu geben scheint, das bisher die Machtlbalance zwischen ÖVP und SPÖ hergestellt hat, war der momentane Verlierer nicht untröstlich und der Sieger meistens bedächtig genug, mit dem Fall zu rechnen, daß er einmal der Verlierer sein konnte. Nach den mißglückten Experimenten der Zwischenkriegsära, vor allem angesichts der im Bürgerkrieg, im Kampf um Österreich gewonnenen Erfahrungen war eine solche „Vulgärdemokratie“ (wie dieser Zustand jetzt klassifiziert wird) nicht ganz ohne Räson.

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