"Der Schaden ist UNERMESSLICH"

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Alle diese Appelle an den politischen Anstand sind wohlfeil, aber spätestens beim nächsten Wahlkampf mutmaßlich vergessen.

Journalismus ist kein Bier, sondern ein unentbehrlicher gesellschaftlicher Wert", schrieb der deutsche Medienwissenschafter Stephan Russ-Mohl einmal über den oft vergessenen Wert von Medien, die zu oft mit Unterhaltungs-und Konsumgütern verwechselt werden. Nun hat Russ-Mohl ein neues Buch über die Gefährdungen der Demokratie durch die digitalen Medien geschrieben. Er fürchtet um die Zukunft der offenen Gesellschaft.

DIE FURCHE: Im österreichischen Wahlkampf ist am Wochenende ein Skandal von einiger Tragweite aufgeflogen. Die SPÖ hat offenbar via Facebook Sebastian Kurz durch den Einsatz von rassistischen und antisemitischen Postings anzupatzen versucht. Wie sehen Sie diese Affäre?

Stephan Russ-Mohl: Von außen die Schmutzkampagne differenziert zu bewerten, noch dazu, bevor Details zweifelsfrei geklärt sind, steht mir nicht zu. Jedenfalls sieht fairer Wahlkampf anders aus, und die SPÖ scheint gegen das elfte Gebot verstoßen zu haben: "Du sollst Dich nicht erwischen lassen." Der Schaden für die demokratische Kultur ist unermesslich, ganz egal, wie die Wählerinnen und Wähler solchen Rufmord quittieren werden.

DIE FURCHE: Müsste nicht dieser "Tsunami" (SP-Geschäftsführer Matznetter) für die Politik eine Lehrstunde werden?

Russ-Mohl: Appelle an den Anstand sind wohlfeil, aber spätestens beim nächsten Wahlkampf mutmaßlich vergessen. Die Versuchung, im Netz aus der Anonymität heraus politische Gegner zu "erledigen", wird bleiben -damit einhergehend aber hoffentlich auch die Einsicht, dass jeder, der sich dort bewegt, Spuren hinterlässt und damit rechnen muss, dass er zum falschen Zeitpunkt auffliegt.

DIE FURCHE: Die AfD in Deutschland hat ihre umstrittenen Botschaften ganz offen und massiv in den sozialen Netzen beworben. Wie hoch schätzen Sie denn den Anteil der digitalen Medien am Rechtsruck in Deutschland ein?

Russ-Mohl: Das zu quantifizieren ist schwierig. Ich denke, dass die Digitalisierung -mit den Echokammern, die sie in sozialen Netzwerken erzeugt, mit den Bots, die man zur Erzeugung von Stimmungen verwendet -den Populisten Schubkraft gibt. Auch weil die klassischen Medien, die früher kontrolliert haben, was in den öffentlichen Raum eindringen darf, ihre Funktion nicht mehr erfüllen.

DIE FURCHE: Aber sind nicht auch die traditionellen Medien an den Problemen beteiligt? Wie etwa die US-Medien, die über den damals noch chancenlosen Außenseiter Trump nur berichtet haben, weil er mit seiner Polemik Quote brachte? Beispiel "Alternative für Deutschland": Die klassischen Medien berichten seit Jahren über die AfD mehr als über jede andere Kleinpartei. Und dann wundert man sich über die Wahlresultate.

Russ-Mohl: Das sind die Eigentore, die die Medien schießen, indem sie das Geschäft der anderen Seite besorgen, bloß wegen der Quote und den Klicks. Der Nachrichtenwert der jeweiligen Messages tendiert ja häufig gegen Null. Es sind Provokationen um der Provokation willen. Dieses Spiel haben zu viele Medien zu lange mitgespielt.

DIE FURCHE: Sie meinen in Ihrem neuen Buch, dass die Uhr fünf nach Zwölf zeigt. Ist für die klassischen Medien alles verloren?

Russ-Mohl: Diese Metapher habe ich verwendet, weil ich hoffe, dass man die Uhr auch wieder auf fünf vor Zwölf drehen kann. Es ist Zeit für einen Weckruf. Wenn die demokratischen Kräfte nicht aufpassen, dann könnten wir bald wirklich ohne Chance sein, die Uhr noch einmal zurückzudrehen.

DIE FURCHE: In Österreich gibt es noch eine weitere Facette des Problems: die Verbrüderung der Politik mit Boulevardmedien. Aktuell wurde die Diskussion mit dem Streit des Bundeskanzlers mit der Zeitung "Österreich", in der der Kanzler aufgrund negativer Berichte des Blattes alle Interviews abgesagt und Werbeschaltungen unterbunden hat.

Russ-Mohl: Das ist schon eine sehr österreichische Variante. Ich finde das gruselig, dass man Medien, von denen man weiß, dass sie nicht um Qualität bemüht sind, mit Steuergeldern päppelt. Das ist ein Fehler im Presseförderungssystem. Und es ist meiner Ansicht nach der noch größere Skandal, als wenn jetzt der amtierende Bundeskanzler seine Werbung zurückzieht. Letzteres ist im Grunde nur ein Eigentor, weil ihm das so viel negative Presse bringt, dass er damit einfach ganz dumm dasteht.

Ein fairer Wahlkampf sieht jedenfalls anders aus, und die SPÖ scheint gegen das elfte Gebot verstoßen zu haben:'Du sollst Dich nicht erwischen lassen.'

DIE FURCHE: Sie haben gesagt, das sei etwas Österreichisches. In der Schweiz oder in Deutschland wäre das nicht vorstellbar?

Russ-Mohl: Es gibt in den meisten westlichen Demokratien Etats, aus denen Regierungen und Ministerien und öffentliche Unternehmen Werbung schalten können. Aber dass das derart gezielt eingesetzt wird wie in Österreich, das findet anderswo zumindest weniger offensichtlich statt.

DIE FURCHE: In Ihrem Buch werden sie sehr grundsätzlich, wenn Sie sagen, dass die offene Gesellschaft in Gefahr ist.

Russ-Mohl: Die größte Gefahr geht meiner Meinung nach von den IT-Giganten aus, also von Google, Facebook und Amazon, die in einem nie gekannten Ausmaß den öffentlichen Raum mit ihren Algorithmen kontrollieren und im Grunde niemand weiß, wie diese Algorithmen funktionieren. Und was da an Kommunikation steuerbar ist, kann auch demokratische Wahlen entscheiden. Neben diesen IT-Giganten gibt es noch Tausende von Akteuren, die die sozialen Netzwerke benutzen und missbrauchen, angefangen bei den jungen Geschäftsleuten aus Mazedonien, die mit Falschmeldungen über Trump ihr Geschäft machten. Mittlerweile wird aber auch in der Führungsebene der Konzerne klar, dass hier etwas aus dem Ruder läuft. Auch Mark Zuckerberg, der zunächst bestritten hatte, dass über Facebook Einfluss auf die US-Wahl genommen wurde, hat zurückgerudert.

DIE FURCHE: Der deutsche Justizminister Heiko Maas probiert, Netzwerke wie Twitter unter Androhung hoher Strafen dazu zu bringen, Hasspostings zu löschen. Ein richtiger Ansatz?

Russ-Mohl: Alleingänge von kleinen oder mittelgroßen Ländern machen keinen Sinn. Da müssten sich schon auch die USA, die EU oder China drum kümmern. Und auf China würde ich nicht allzu große Hoffnungen setzen. Zumindest zeigt das chinesische Beispiel, dass die Politik den IT-Giganten Daumenschrauben anlegen kann. Im Fall der Chinesen sind es allerdings die falschen. Wir müssen einen Weg finden, die Presse-und Redefreiheit zu halten - und damit auch die Voraussetzung für Demokratie.

DIE FURCHE: Es gibt derzeit auch einige Paradoxa, die mit der Meinungsfreiheit verbunden sind. Etwa, dass Radikale unter der Flagge der Meinungsfreiheit gegen Minderheiten hetzen -das betrifft ganz besonders Muslime.

Russ-Mohl: Für mich ist die Frage: Was kann man da von der Politik erwarten, und was muss letztendlich doch die Zivilgesellschaft selber hinkriegen. Auch da habe ich noch Hoffnung, dass wir genug Rückgrat haben, an bestimmten Stellen nicht mehr wegzugucken, sondern solche Leute in die Schranken zu weisen.

DIE FURCHE: Welche Rolle können die Wissenschaften spielen?

Russ-Mohl: Die Wissenschaft kann natürlich nicht politische Probleme lösen oder Entscheidungen treffen, aber es hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl interessanter Forschungsergebnisse gegeben. Wenn sich die Medien mit diesen Ergebnissen auseinandergesetzt hätten, wären uns wahrscheinlich viele Fehlentwicklungen erspart geblieben.

DIE FURCHE: Haben Sie da ein konkretes Beispiel?

Russ-Mohl: Es gibt eine Studie über den Umgang der Medien mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima in Deutschland und der Schweiz im Vergleich zu Großbritannien und Frankreich. Die unterschiedliche Medienberichterstattung zu dieser Katastrophe hat dazu geführt, dass völlig verschiedene politische Schlussfolgerungen gezogen worden sind. Also in Frankreich und Großbritannien war das eine Berichterstattung über einen Tsunami. Und der Tsunami hat Todesopfer gefordert. In Deutschland und der Schweiz wurde der Tsunami relativ klein gespielt, aber die Kernschmelze im AKW war das große Ereignis. Und nachweislich hat es die Todesopfer wegen der Sturmflut und nicht wegen des Reaktorunglücks gegeben. Bei solchen Unterschieden kann man schon nachdenklich werden -selbst wenn man kein Kernkraftbefürworter ist ...

DIE FURCHE: Ein Thema, das Sie auch immer wieder ansprechen, ist das Thema der Schnelligkeit, mit der Informationen verbreitet werden. Sie bringen im Buch Beispiele, wie etwa Agenturen, die schnelle Nachrichten rausbringen, ohne diese zu überprüfen. Gibt es Gegenbewegungen?

Russ-Mohl: Ja, es gibt da Ansätze von Gegenbewegungen, Slowviews, hat das ein amerikanischer Kollege, den ich sehr schätze, der Peter Laufer, schon vor einigen Jahren genannt, aber ich glaube, man muss realistischerweise schon sagen, dass das kaum eine Chance haben wird, sich gegen den Mainstream, der weiterhin auf Schnelligkeit, auf Tempo setzen wird, durchzusetzen.

DIE FURCHE: Ist dann das, was wir jetzt Qualitätsjournalismus nennen, im Wesentlichen für die Zukunft ein Nischenprodukt? Russ-Mohl: Ich befürchte, dass es in diese Richtung läuft, wenn es uns nicht gelingt, über Bildung, über Schule die Basis wieder zu verbreitern. Im Moment geht's auch deshalb schief, weil die Zahlungsbereitschaft für Journalismus online gleich null ist.

DIE FURCHE: Einige Ihrer Kollegen propagieren da das Konzept der "redaktionellen Gesellschaft", dass man also meint: Ihr seid eigentlich alle Journalisten.

Russ-Mohl: Ich halte sehr viel davon, dass man jungen Leuten und Schülern sehr viel mehr über Medien und über Journalismus beibringt, aber das macht sie nicht zu Journalisten. Das ist ein anspruchsvoller Beruf. Ich frage an dieser Stelle meine Studenten immer: Würdet ihr denn, wenn ihr Zahnschmerzen habt, zu einem Bürgerdoktor gehen oder würdet ihr doch vielleicht lieber einen Arzt haben, der Medizin studiert hat? Also ich vertraue mich lieber einem Journalisten an, der sein Handwerk gelernt hat, als irgendeinem Menschen, der bloggt und glaubt, er könne das auch.

Ich finde es gruselig, dass man Medien, von denen man weiß, dass sie nicht um Qualität bemüht sind, mit Steuergeldern päppelt. Eine sehr österreichische Variante.

Wir müssen einen Weg finden, die Presse-und Redefreiheit zu halten - und damit die Voraussetzung für Demokratie.

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