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Im traditionellen 19. Jahrhundert

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Eine starke Versuchung, die angesichts der Infiltration des Links-katftölizi'smus ' stattfindet, ist die Tendenz einer Apologetik des Kapitalismus. Der Linkskathalizismus gehört zum traditionellen System des Klassenantagonismus des 19. Jahrhunderts. Die Kirche des 21. Jahrhunderts wird aber jenseits von Kapitalismus und Marxismus existieren. Wenn Günther Wenning meint, die kirchliche Sozialletore nähere sich immer mehr „sozialistischen, marxistischen und kommunistischen Gesellischaftstheorien“, dann verdächtigt er wahrhaftig die Kirche, sie versuche einem Sterbenden, dem traditionellen Marxismus, einen warmen Umschlag zu geben. Im Umgang mit dem Marxismus von heute dürfte die Kirche nicht vergessen, wie es vor fast einem Jahrhundert Papst Leo XIII. mit dem Feudalismus gehalten hat: Als die französischen Royalisten den Papst für ihre Idee einer Restauration der Monarchie in Frankreich gewinnen wollten, wies Leo XIII. während der Audienz auf das Corpus des vor ihm stehenden Kruzifix mit den Worten hin: „C'est le seul cadavre que nous adorons.

Der Linkskatholizismus von heute reflektiert auf eine Idee, um die vor einem Jahrhundert die damalige Kirche scheinbar oder tatsächlich zu spät gekommen ist: Die Sozialreform in der ersten Phase der industriellen Revolution. Er ist die letzte Nachhut des Katholizismus des 19. Jahrhunderts, jene nämlich, die vor dem Ende des vom Marxismus instrumentierten Klassenanitagonis-mus die hektischen Bemühungen derer teilt, die den klassenkämpferischen Marxismus ins 21. Jahrhundert hinüberretten möchten. So wie der Liberalismus hat auch der Linkslkatholizismus vergängliches an sich. Vergänglich sind die Reflexionen

• auf die „Kitschausstattung des Religiösen“ (Devotionalien aller Stilrichtungen, Modasches in der klerikalen Tracht, Titel und äußere • Honeurs),

• auf den pseudo-frommen Augenaufschlag dessen, was man die Bigotterie nennt und

• auf das schlechte Gewissen der Pharisäer in der Kirche.

Solche Kritiken sind alter Stehsatz ams der Ära des frühen Liberalismus und des Marxismus für die Dreivier-telhirne aller Zeiten. Die ernster denkenden und gründlicher Forschenden sind angesichts des Linkskatholizismus längst an dem Punkt angelangt,

• wo jene entlarvt werden, die vorgeben, sie seien die Zöllner unter den Pharisäern des establishments,

• während sie in Wirklichkeit die Zeloten jener neuen Eraatereliigionen und Institutionen sind,

• die dem Experiment der Ära Sartre: Praxis als Religionsersatz allenthalben gefolgt sind.

Die Bedeutung des Linkskatholizismus unserer Tage ist darin zu erblicken, daß er die drei großen Versuchungen des herrschenden Zeitgeistes an die absolute Wahrheit der Kirche sichtbar macht:

• Radikale Demokratisierung und Autonomie des Menschlichen in der Kirche anstatt der Ungescbichtlich-keit der Wahrheit und der Souveränität des Göttlichen.

• Meologiengläubigkeit anstatt Offenbarungsreligion.

• Ricorsi der Sekten und Häresien von gestern anstatt Erneuerung des unverlierbaren Auftrags des Herrn an Petrus.

Die Intensität des Feuers und der Bewegung, womit der Linkskatholizismus teil hat an den operativen Methoden der Linken, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die Spätkrise des Marxismus ist, dessen Ausgangslage zerstört ist und der die geistigen Wurzelböden verlassen hat; und an dem die Linkskatholiken um eine Idee zu spät Anteil haben möchten.

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