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Klarheit um das Osttor von Aguntum

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In großzügiger Aufgeschlossenheit gegenüber den Wünschen der Wissenschaft sowohl wie den kulturellen und fremdenverkehrsmäßigen Belangen Osttirols gewährte die Tiroler Landesregierung heuer die Mittel zur Wiederaufnahme der Grabungen an der Stätte des römischen Aguntum, 4 Kilometer östlich von Lienz an der nach Kärnten führenden Bundesstraße. Vor sechzehn Jahren war hier eine große zweibahnige Toranlage mit den beiden flankierenden Türmen und den anschließenden Teilen der Stadtmauer freigelegt worden. Da damals weiter ostwärts auch eine Anzahl von Häusern angegraben wurde, so schien es sich bei der aufgedeckten Toranlage um das Westtor der römischen Siedlung zu handeln.

Angesichts gewisser Bedenken, die sich gegen diese Annahme erhoben, mußte die möglichst restlose Klärung der Lage der ummauerten Stadt die vordringlichste Aufgabe sein; daneben galt es, die Ruinenstätte um entsprechend sehenswerte Stücke zu erweitern. Beides ist heuer in glücklichem Maße gelungen. Die Stadtmauer konnte nach Norden hin weiter freigelegt werden, und insbesondere nach Süden hin, wo ein weit über 2 Meter hoch erhaltener Abschnitt von fast 30 Meter mit zwei kleineren Toren und den im Westen unmittelbar angebauten Häusern völlig ausgegraben und zugleich konserviert wurde. Da die Mauer dann noch weitere 30 Meter weiter nach Süden verfolgt wurde, ist eine beträchtliche Ausweitung der vom Schutt befreiten Ruinen erreicht. Im Zuge dieser Grabungen, die rund 2500 Kubikmeter Schuttmaterial entfernten, wurde klar, daß die Hausbauten r-var im Westen unmittelbar in ununterj- tötliCftem Zuge an die Stadtmauer anschließen, daß aber vor deren Ostseite eine Straße verläuft, deren Pflasterung noch stellenweise vorhanden ist, und sich davor ein breites unverbautes Glacis ausdehnt. Dazu kommt, daß die Masse des alten Hausrates an Tongefäßen einheimischer und fremdländischer Erzeugung, an Glasschalen, Schüsseln, beinernen und bronzenen Zierstücken westlich der Stadtmauer auftritt, während der Raum östlich von ihr nahezu fundleer ist. Da außerdem westlich der Stadtmauer Reste von wenigstens zwei öffentlichen Bauwerken festgestellt wurden, so ist jeder ernsthafte Zweifel daran beseitigt, daß die geschlossene Siedlung westlich von dem jetzt dem Besucher sich eindrucksvoll darbietenden Stadtmauerabschnitt mit seinen verschiedenen Toren lag und daher das seit sechzehn Jahren bekannte große Tor das Osttor der römischen Stadt ist.

Außerdem gelang es auch, wertvolle Aufklärung über die zeitliche Entwicklung der Stadt zu gewinnen. Verschiedene Tiefgrabungen zeigten, daß unter den bis jetzt bekannten Siedlungsresten, die zum größeren Teil der Wende vom 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. angehören, zum anderen Teil erst mit der Stadtmauer in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts entstanden sind, eine ältere Siedlung liegt, die aber auch bereits römische Bauweise erkennen läßt. Daher können diese Reste nur von der Stadt herrühren, welche von Kaiser Claudius um 50 n. Chr. mit dem Stadtrecht ausgestattet und dann noch im Laufe des ersten Jahrhunderts von einer schweren Überschwemmungskatastrophe heimgesucht worden ist.

Diese wesentlichen topographischen und entwicklungsgeschichtlichen Ergebnisse der heurigen Kampagne, wozu noch einige sehr wichtige Beobachtungen über die wechselnde Ostorientierung der verschiedenen Stadtperioden treten, berechtigen nicht nur, sondern verpflichten zur Weiterführung dieses so vielversprechend wieder in Angriff genommenen Unternehmens, das schon während des heurigen Sommers über 3000 Besucher angelockt hat.

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