Vorarlberg provoziert Paris

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"Konstruktive Provokation - neues Bauen in Vorarlberg" ist der Titel einer Pariser Ausstellung über das Land der architektonischen Avantgarde:als Auftakt der Reihe des "Institut français d'architecture" über "Experimentelle Architektur in Europa".

Spätestens seit der Errichtung des Bregenzer Kunsthauses durch den Schweizer Architekten Peter Zumthor 1997 ist die Region Vorarlberg in der Pariser Architekturszene ein Begriff. Die Fülle an Bauobjekten und Architekten aus der Schweiz und dem Bodenseeraum, die während der vergangenen Jahre in der internationalen Fachpresse kommentiert wurden, ließ allerdings die Landesgrenzen rund um den Bodensee verschwimmen. Liegt Bregenz in der Schweiz? Ist Zumthor Österreicher? Die Pariser Ausstellung kann als Standortbestimmung einer Architektur gelten, die mittlerweile internationalen Ruf genießt.

"Vorarlberger Bauschule"

Im Ausstellungssaal, einem lichten, hohen Raum neben dem Festsaal des einstigen Museums für afrikanische und ozeanische Kunst, wurden sieben hölzerne Informationsboxen installiert - das Herzstück der Ausstellung. Aufkaschierte, großformatige Fotografien und erklärende Textfelder geben Auskunft über das jeweilige "Themenportal". Der Bogen spannt sich von Rudolf Wägers und Hans Purins frühen Siedlungsbauten, die bereits in den sechziger und siebziger Jahren mit einfachsten Konstruktionslösungen die Renaissance des Holzbaus einleiteten, über alternative Wohnkonzepte, die in bisher unbekannter Symbiose von Bauherrn und Planern umgesetzt wurden, bis zu den heutigen Musterbeispielen des ökologischen Bauens. Einmal mehr wird in dieser Werkschau deutlich, dass die Vorarlberger Architekturentwicklung sich nicht auf die gefällige Betrachtung gebauter Beispiele reduzieren lässt. Eine Reihe gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Einflüsse fügten sich über Jahrzehnte mosaiksteinartig zu jener Grundlage zusammen, auf der die heute herausragenden Ergebnisse der Bautätigkeit basieren.

So liegt ein Ursprung der heute vielbestaunten höchst ökonomischen baulichen Lösungen in der über Jahrhunderte herrschenden Armut der Region. Die in den siebziger Jahren beginnende Rückbesinnung auf das traditionelle und kostengünstige Baumaterial Holz wurde vom kritischen und ökologischen Bewußtsein der 68er Generation und später von den Auswirkungen der Ölkrise genährt. Derartige Außeneinflüsse, aber auch das unkonventionelle Denken und Handeln einzelner Protagonisten sorgten für die entscheidenden Initialzündungen in der Baugeschichte dieser Region.

Der Ausstellungsbesucher wird eingeladen, sich die Entwicklungsgeschichte in ihrer Gesamtheit zu erarbeiten. Der interaktive Lernprozess macht gleichzeitig die hohe Qualität der Vorarlberger Handwerkskunst erfahrbar: auf feinst gearbeiteten Beschlägen gleitend, geben einzelne Schubladen der raffinierten Schaukästen vertiefende Informationen preis. Auch der Büchertisch mit einer Fülle sorgfältig ausgewählter Literatur macht die Weitläufigkeit des Themas begreifbar. Hier gelingt es dem Besucher am ehesten, die Komplexität dieses interdisziplinären Zusammenspiels zu erfassen.

Eine besondere Kostbarkeit sind die erstmals aus den ORF-Archiven ausgegrabenen Aufnahmen aus der Sendereihe "Plus-Minus", die auf einem der vier Bildschirme gezeigt werden, die die Ausstellung ergänzen. Diese kritische Auseinandersetzung mit dem Baugeschehen im Ländle wurde Mitte der achtziger Jahre vom Vorarlberger Fernsehen wöchentlich ausgestrahlt und sorgte nicht selten für heftige Diskussionen. Sie gilt heute als wichtiger Beitrag für das Architekturbewusstsein der Bewohner dieser Region.

Pariser Medienecho

Das Echo der französischen Medien zur Eröffnung der Ausstellung war überwältigend, verwechselte in euphorischem Überschwang das vielschichtige Architektur-Laboratorium Vorarlberg aber manchmal mit einem pittoresken Disneyland. So sprach die Tageszeitung "Liberation" von einer kleinen, kitschig-schönen Postkartenlandschaft voller Gebäude, "die einem Hochglanz-Architektur-Magazin entsprungen erscheinen". Interessierten Besuchern erlaubt die intelligent aufbereite Werkschau ein durchaus sensibleres Aufspüren architektonischer Fährten. Das Kompliment der meistgelesenen Wochenzeitschrift, Telerama, die "Konstruktive Provokation" gar als "schönste Ausstellung des Sommers" betitelte, dürfen die Organisatoren daher zu Recht für sich verbuchen.

Die Autorin dissertiert über die Vorarlberger Bauschule.

Une provocation constructive - Architecture et développement durable au Vorarlberg

Palais de la porte dorée, 293, Avenue Daumesnil, 75012 Paris Noch bis 14. 9.

Ab 9. 10. im CAUE du Rhône, Lyon, danach in weiteren französischen Städten.

Katalog: "Konstruktive Provokation - Neues Bauen in Vorarlberg", Verlag Pustet Anton, 128 Seiten, zahlreiche Illustrationen, e 18,50

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