Schaffa, schaffa, Hüsle baua

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Dass die Vorarlberger von ihrem Naturell her ein eher widerständiges Völkchen sind, zeigt sich schon an ihrer Architektur. Besonders der neuen. Gibt es doch kein Dorf im kleinen -je nach Standort - vor oder hinter dem Arlberg liegenden Land, in dem es kein Beispiel erstaunlich selbstbewussten neuen Bauens gibt. Das nicht nur beweist, dass man weiß, was sich baukünstlerisch auf der Welt tut, sondern in vielen Fällen mit einer raffinierten Neuinterpretation des gewachsenen Bestandes vor Ort zu tun hat. In der Verwendung von hier schon immer verwendeten heimischen Materialien, im sensiblen Umgang mit dem Maßstäblichem, mit Nachbarschaften, mit traditionellen Bauformen. Und dies auf höchst intelligente, innovative Art und Weise, ohne sich anzubiedern an vergangene Welten.

Vorarlberg ist mit seinen 2.600 Quadratmetern und rund 375.000 Einwohnern nach Größe wie Einwohnern das nach dem Burgenland kleinste Bundesland Österreichs. Als Land im Gebirge ist die Siedlungsfläche klein, mit dem Effekt, dass sich 67 Prozent der Bevölkerung auf 17 Prozent der Landesfläche im Rheintal zusammendrängen. Wodurch sich zwischen Bregenz und Bludenz eine Siedlungsdichte ergibt, die mit städtischen Ballungsräumen durchaus vergleichbar ist. Was den ehemals bäuerlich geprägten Charakter der einzelnen Gemeinden naturgemäß sehr verändert, in Schlaf-und Wohnorte der in diversen Dienstleistungs- bzw. Industriebetrieben arbeitenden Pendler verwandelt hat.

Authentisch und leistbar

Dieser an sich zweifelhafte Prozess einer Suburbanisierung verlief nirgends in Österreich so rasch wie im Vorarlberger Rheintal, verbunden mit einer gewaltigen Bautätigkeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt auch von Einfamilienhäusern, gemäß dem noch immer gültigen Motto "Schaffa, schaffa, Hüsle baua". Wobei heute mehr als zwei Drittel Energiesparhäuser sind, rund 20 Prozent errichtet im Werkstoff Holz und beheizt mit umweltfreundlicher Solarenergie. Ausgeführt auf einem baukünstlerischen Niveau, das seinesgleichen sucht. Was natürlich keineswegs bedeuten soll, dass nicht auch in Vorarlberg gebaute Schrecklichkeiten und banale Allerweltskisten en masse herumstehen.

Die Renaissance einer authentischen Vorarlberger Baukultur hat ihre Wurzeln in den frühen Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Als sich innovative Handwerker, Baumeister und Architekten lose zusammenschlossen, um -in Anspielung auf die zünftig organisierten Bregenzerwälder Kirchenbauer des 18. Jahrhunderts -die "neue Vorarlberger Bauschule" zu gründen. Als eine Bewegung abseits des akademischen, hochkulturellen und bürokratischen Establishments, getragen von widerständigen Bürgern, die dem Mief des Provinziellen mit ihrer weltoffenen Art zu leben, zu denken und nicht zuletzt zu wohnen zu entfliehen versuchten.

Und wie so ein Wohnen, das noch dazu leistbar sein musste, aussehen kann, wussten die "Baukünstler". Die oft keine gelernten Architekten waren, sondern vom Handwerk her kamen. Wie Hans Purin, der erst über den Umweg einer Maurerlehre bei Roland Rainer an der Wiener Akademie studierte, bevor er in seine Heimat zurückkehrte und zu einem der Pioniere eines formal puristischen zeitgenössischen Bauens, meist mit dem Werkstoff Holz, wurde. Mit einer Wohnqualität, die noch heute beispielgebend ist. Seinem Beispiel folgten bald zahlreiche ähnlich Gesinnte, überall im Land entstanden -fast basisdemokratisch gemeinsam von Planern und zukünftigen Bewohnern organisiert -funktionell verblüffend einfache, wunderbar funktionierende kleine Wohnanlagen und Einfamilienhäuser.

Anerkennung der "Baukünstler"

Der nächsten Generation der "Baukünstler" gehörten heute so etablierte Architekten wie Dietmar Eberle, Roland Gnaiger, Carlo Baumschlager, Helmut Dietrich und Hermann Kaufmann genauso an wie der Autodidakt Rudolf Wäger. Bereits 1985 wurde in Lustenau, der drittgrößten Gemeinde im "Ländle", ein mit jungen Architekten besetzter Gestaltungsbeirat installiert, was bald Schule machte und die allgemeine Baukultur nicht zuletzt durch das Ausloben von Wettbewerben für größere Projekte gewaltig steigerte. Wie auch eine zwischen 1985 und 1992 von Roland Gnaiger betreute Sendung im lokalen Fernsehen, in der allwöchentlich über Architektur und Städtebau anhand konkreter Projekte berichtet wurde. Was zu hoch emotional geführten Diskussionen an den Stammtischen im ganzen Land führen sollte.

Die Rolle der "Baukünstler" war inzwischen längst unumstritten, nicht zuletzt durch die Anerkennung von außerhalb. Und sie bauten nun längst nicht mehr nur für private Bauherren, sondern kamen auch bei großen öffentlichen Projekten wie Schulen, Gemeindezentren oder Sportanlagen zum Zug. Der Versuchung, für besonders wichtige Projekte Stars von außerhalb zu holen, sind die Vorarlberger erfreulicherweise nie erlegen. Mit einer einzigen Ausnahme: Mit dem Bau des Kunsthauses in Bregenz wurde der renommierte Schweizer Architekt Peter Zumthor betraut. Ein in seiner Auffassung eines zeichenhaft minimalistischen, für den Ort und seine Funktion maßgeschneiderten, handwerklich perfekten Bauens stehender Mann, der als mentaler Übervater der Baukünstler durchaus durchgehen könnte.

Individuelle Architektursprachen

Vielleicht auch der Grund, weshalb Peter Zumthor vor zwei Jahren mit der Planung des "Werkraum Bregenzerwald" in Andelsbuch betraut worden ist. Ein Haus, das ursprünglich von einem der zahlreichen exzellenten Architekten von vor Ort hätte geplant werden sollen, um die regional blühende Handwerkskultur vorzuführen. Die etwa für Carlo Baumschlager "die beste der Welt" ist. Er ist wie sein ehemaliger Büropartner Dietmar Eberle genauso wie Hermann Kaufmann längst international unterwegs. Vor Ort ersetzt durch eine ganze Riege junger Kollegen, die längst der strengen Schule der "Baukünstler" entwachsen sind, um sehr individuelle Architektursprachen zu entwickeln. Das Bauen in Holz ist nicht mehr ihr Credo, der Einsatz der Mittel wandelt sich mit dem jeweiligen Projekt, seinem Ort, seiner Funktion.

Ein leises Umdenken macht sich neuerdings auch bezüglich der Philosophie in Sachen Energieeffizienz und somit intelligenter Nachhaltigkeit bemerkbar. Und das ausgerechnet bei einem Pionier des Passivhauses, Dietmar Eberle. Der immer mehr ein Unbehagen bei der Explosion an aufwändiger Haustechnik empfindet, um in seinem in Lustenau gebauten Bürohaus 2226 völlig neue Wege auszuprobieren. Einem Haus, das ganz ohne Heizung und Kühlung auskommt. Dafür Mauern in der Dicke einer alten Burg und relativ kleine Fenster hat. "Beheizt" allein von der Sonne bzw. den Menschen, die hier arbeiten sowie den Maschinen, die diese benützen.

Wie es Wolfgang Kos einmal so treffend formuliert hat, ist gute Architektur heute in Vorarlberg keine Ausnahme, sondern "eine Bürgerpflicht". Gemacht von mehr als 150 Architekten und nicht zuletzt in ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz in Ausstellungen, Publikationen und diversen Veranstaltungen vermittelt vom vai, dem in Dornbirn beheimateten Vorarlberger Architekturinstitut.

Einen frischen Blick auf die Architekturlandschaft Vorarlbergs wird die von Bund und Land getragene Ausstellung "Getting Things Done" werfen, die vom 13. September bis 11. Oktober im Werkraum Bregenzerwald zu sehen ist, bevor sie ab Ende des Jahres weltweit durch die Österreichischen Kulturforen touren wird.

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