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„...aber relativ viele Niederschläge”

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ZWEI FRAGEN AN VORARLBERGER IN WIEN:

Was fällt Ihnen zu Land und Leuten ein?

Wie lebt es sich als Vorarlberger in Wien?

(ORF-Redakteurin, ZIB-2-Modera-torin; Heimatort Bludenz, bis 1971 in Vorarlberg gelebt, seit 1971 in Wien):

■ „Einerseits der Eindruck von Enge und Abgeschlossenheit (in Bludenz ist man quasi rundherum von Bergen umgeben), andererseits Weltoffenheit durch Nähe zu Schweiz, Deutschland und Liechtenstein (besonders zur Zeit des eisernen Vorhanges in Wien unvorstellbar, einfach rasch einen Trip über die Grenze - wohin auch immer). Außerdem: Skifahren, Bergwandern, Käsknöpfle, ,Schaffa, schaf-fa, Hüsle baua'.”

■ „Ich empfand bei der Umstellung (kann mich kaum mehr erinnern): jedenfalls den Beiz der Großstadt, zu Beginn eine gewisse Orientierungslosigkeit.

Als Vorarlberger lebt es sich in Wien hervorragend - vermutlich ebenso wie als Wiener. Man wird sich bewußt, wie viele Vorarlberger in Wien leben, auf gewisse Weise verbindet die Herkunft, aber nicht stärker als zum Beispiel ein gemeinsames Lieblingsrestaurant.

Ich fahre zirka einmal jährlich nach Vorarlberg, und zwar mit großem Vergnügen. Würde aber nie wieder dort leben wollen.”

ElJSABKTH gkhrkr (Unterrichtsministerin; „infolge der Kriegswirren” in Wien geboren, im Alter von sechs Jahren nach Innsbruck übersiedelt, dort aufgewachsen, mit 21 Jahren nach Vorarlberg geheiratet und seitdem in Bregenz zu Hause, lebt in Vorarlberg und arbeitet seit Mai 1995 in Wien, „Meine Heimatstädte sind Bregenz und Innsbruck, meine Heimatländer Vorarlberg und Tirol, mein Vaterland ist Österreich”):

■ „Spontan fällt mir ein, es ist ein kleines aber feines Ländle mit einer sehr schönen Landschaft. Besonders den Bodensee schätze ich sehr. Ich schätze es aber auch, daß ich in relativ kurzer Zeit hohe Berge erreichen kann.

Die Vorarlberger sind modernen Entwicklungen gegenüber durchaus aufgeschlossen, bewahren sich aber auch ihre Tradition, sind sehr gesellig und die sozialen Kontakte sind gut.”

■ „Als Vorarlbergerin in Wien mit sehr viel Arbeit lebt es sich so ähnlich wie in Bregenz. Die meiste Zeit wird im Büro und bei terminlichen Verpflichtungen verbracht, wobei auch viele Bundesländerreisen dabei sind. In Wien besonders hervorzuheben ist das kulturelle Angebot, welches ich so gut als möglich zu nutzen versuche. Die Umstellung war problemlos, ich

bin etwa alle zwei bis drei Wochen in meiner Heimatstadt, in Bregenz. Was mir etwas abgeht, sind die menschlichen und sozialen Kontakte, da sich bei einem gewissen Zeitmangel sehr schwer neue Freundschaften aufbauen lassen. Es ist mir daher ein Anliegen, so gut als möglich meinen Freundeskreis in Vorarlberg weiterhin zu pflegen.

Ich freue mich auch immer, wenn Bekannte aus dem Ländle auf Besuch sind.”

Burkhard Bischof (außenpolitischer Redakteur bei der „Presse”; geboren in Mellau/Bregen-zerwald, in Wien tätig seit März 1977 - „genau seit 20 Jahren”):

■ „Schöne Landschaft, aber relativ viele Niederschläge; ehrgeizige Leute, aber viele von ihnen auch sehr selbstgefällig; innovative Leute, aber viele Forcmivvi

von ihnen auch traditionsfanatische Reaktionäre; gutherzige Leute, aber viele von ihnen leider nur mit ihresgleichen; weltoffene Leute, aber viele von ihnen auch kleinkariert bis in die Knochen.

Darf man auch ein bißchen Stolz empfinden, daß das kleine Land in den letzten Jahren gleich mehrere im gesamten deutschen Sprachraum

hoch anerkannte Literaten hervorgebracht hat?”

■ „Die Umstellung auf Wien war nie ein Problem. Vorarlberger haben in Wien einen guten, respektablen Ruf, was man umgekehrt leider nicht sagen kann. Wien nimmt Landsleute offen auf, die der Stadt ebenfalls mit Offenheit gegenübertreten. Allerdings: Mit waschechten Wienern hat man es im Berufsleben hier am allerwenigsten zu tun, sondern mit Leuten, die ebenfalls ,zug'rast' sind.”

Hans-Pktkr Martin („Spiegel”-Korrespondent in Wien, Co-Autor von „Die Globalisierungsfalle”; geboren in Bregenz, lebte bis 1976 in Vorarlberg, in Wien von 1976 bis 1986 und seit 1996):

■ „Es ist ein Land im Umbruch. Die

frühere Selbstgefälligkeit ist einer Orientierungssuche gewichen. Vielleicht gelingt die Entwicklung aus der Provinzialität zu einer offenen, selbstbewußten Begion in Europa, ohne die Wichtigkeit des sozialen Zusammenhalts zu verkennen.”

■ „Schon mein Studienjahr 1973/74 in Kalifornien empfand ich als Befreiung, Wien war da nur noch eine Selbstverständlichkeit.”

Johann Marte

(Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek; „ Meine en -gere I leimat ist dort, wo meine Familie ist, eine bleibende Vertrautheit empfinde ich mit Sprache und Erinnerungen an Bregenz und anderen Gegenden Vorarlbergs”, bis 1969 in Vorarlberg gelebt, von 1969 bis 1971 und dann wieder seit 1982 in Wien, „In der Zwischenzeit hatte ich Gelegenheit, die Wiener und das Wienerische aus der Perspektive slawischer Länder kennenzulernen, das war sehr aufschlußreich.”):

■ „Ein hochentwickeltes, schönes und ,subr's Ländle'. Seine Menschen sind wirtschaftlich sehr kompetent, zielstrebig, sparsam, sehr überlegt aber oft zu sehr auf materiellen Gewinn -was bringt's? und sich selbst (Nabelschau) fixiert. Dadurch kommen Weitherzigkeit, Großzügigkeit und Spontaneität oft zu kurz und es gedeihen Vorurteile.”

■ „Für eine Frau mit Kindern ist der Alltag in einer Großstadt viel mühsamer. Im beruflichen Bereich war die Umstellung problemlos. Vorarlberger werden in Wien durchaus geschätzt, wenn sie überhaupt als solche wahrgenommen werden: Als ausgeprägte Individualisten assimilieren sie sich verhältnismäßig rasch.”

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