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Die Liebe ist gereift

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Als Repräsentantin unseres west- lichsten Bundeslandes in Wien gehört die Frage nach dem Verhält- nis des „großen" Bruders aus dem äußersten Osten zu seinem „klei- nen" Bruder am westlichsten Zipfel Österreichs naturgemäß zu meinen klassischen Standardfragen! Daß die Antwort darauf dennoch viel- schichtig sein muß, enthebt mich oft der Peinlichkeit allzu glatter und routinierter Formulierungen.

Trotzdem scheint mir nach mei- ner nun bereits fünfjährigen Tätig- keit für die Vorarlberger Landesre- gierung in unserer Bundeshaupt- stadt eine Erkenntnis unumstöß- lich: „Die Wiener mögen die Vor- arlberger, und umgekehrt"! Ist es auch nicht sofort die spontane Zu- neigung, die alles einschließende, oberflächliche Bewunderung, so ist es meiner Erfahrung nach doch eine sehr beständige, nach kritischer Prüfung „gereifte Liebe", die Be- wunderung der Tüchtigkeit, des Selbstbewußtseins und der Gradli- nigkeit des Alemannen durchaus einschließt. Sicherlich - „nichts hält sich so hartnäckig, wie das Vorur- teil"... auch das kann man immer wieder mit Beispielen belegen.

Auf den Wahrheitsgehalt unter- sucht, stellt aber dann der tolerante Kenner diverser Wiener und alemannischer Interna bald fest, wie wenig davon übrig bleibt, wenn die Menschen dieser, durch so große Distanz entfernten Bundesländer, einander wirklich näher rücken und persönliche Erfahrungen machen.

Ich höre in meinen vielen Gesprä- chen in Wien immer wieder das Be- dauern und orte einen großen Nach- holbedarf, wenn an sich sehr weit herumgekommene Menschen noch nie in Vorarlberg waren und somi'.. auch keine direkten Kontakte pfle- gen. Damit wird auch klar, wie sehr die unausrottbaren Vorurteile und Klischees, die man im Zusammen- hang mit den Bewohnern des „Ländle hinter dem Arlberg" nährt, an Kraft verlieren, sobald Kontak- te entstehen und Land und Leute „vor Ort" erlebt werden.

Den Anfang machen meiner Mei- nung nach im positiven Sinne die Vorarlberger Studenten in Wien. Sie sind ganz „offen", freuen sich auf dieneüe „DimensionBundeshaupt- stadt". Neugierde und Toleranzfä- higkeit ist bei Vorarlberger Stu- denten in Wien eine gute Basis für die Akzeptanz beider Wesensunter- schiede und Lebensarten.

Was unsere Studenten nach eini- gen Jahren an Verständnis und Kenntnis der so typischen Wiener Mentalität wieder ins „Ländle" zu- rücktragen können, ist wertvoll und notwendig. Denn der Blick über den eigenen Kirchturm hinaus, das Niederreißen von Grenzen - nicht nur zum Ausland (!), sondern gera- de zu „Innerösterreich", wie der Vorarlberger sagt, - ist Grundvor- aussetzung für den mündigen Bür- ger und sollte dem Österreicher in unserer Zeit der Öffnung nach allen Seiten endlich gelingen!

Deshalb halte ich natürlich auch nichts von Aussagen wie „Aleman- nen sind Separatisten, pflegen nur ihren Kantönligeist"!

Hat sich doch in Vorarlberg auf- grund seiner Lage im Mittelpunkt Europas und durch seine wirtschaft- liche Präsenz im europäischen Raum (siehe Seiten 19, 20 und 21) gezeigt, wie aufgeschlossen der Alemanne ist.

Viele Wiener Mitbürger wissen aber auch die föderalistische Pio- nierarbeit der Vorarlberger zu schätzen (Seite 16 und 20), kommt sie doch auch dem Bewohner im Osten zugute, selbst wenn er dies erst an Hand von Beispielen in sei- nem Lebensumfeld erkennen kann: Der hohe Lebensstandard im „Ländle" ist spätestens seit der Beitrittsdiskussion zur EG Vorbild und erstrebenswertes Ziel für die Bürger jenseits des Arlbergs.

Der Wiener läßt sich auch gerne überzeugen, daß „Vorarlberg nicht mehr zur Schweiz will" - hier ist Nachhilfeunterricht in Staatsbür- gerkunde sehr hilfreich. Alles in allem: ein Österreich mit offenen Bundesländergrenzen vom Arlberg bis zur Donau gibt es längst!

Die Autorin ist Leiterin der Vorarlberger Landesdelegation in der Bundeshauptstadt.

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