Von eigensinnigen Walsern und sturen Bregenzerwäldern

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Ghörig" sagen die Alemannen, wenn sie etwas gut, richtig, allgemein akzeptiert, aufrecht oder -bei Menschen -authentisch finden. Ghörig müssen Verhalten und Auftreten, Anstand und Sitte, Arbeit und Lohn, Leistung und Erziehung, ghörig auch Obrigkeit und Regierung sein. Da dieses Wort, dessen Wurzel sowohl mit "zuhören" als auch mit "hörig sein" zu tun hat, bei Vorarlbergern zu den am meisten verwendeten Ausdrücken gehört, lässt sich daraus auf ihr Wesen schließen. Sofern es in Zeiten der Globalisierung noch spezifische Züge einer Volksgruppe gibt, äußern sich diese in erster Linie in der Sprache. Und die ist im Ländle tatsächlich besonders. Nicht nur, weil hier im Gegensatz zum übrigen Österreich alemannisch gesprochen wird, sondern wegen der Vielfalt der Dialekte. Wenn diese so entschlossen kultiviert werden, dass sich ein Ur-Montafoner und ein alter Lustenauer kaum verstehen, sagt es viel über Identität und Betonung der Eigenständigkeit aus. Auf wen wird also in Vorarlberg gehört oder besser gefragt, wem schenkt man kein Gehör? Kaum den "Innerösterreichern" oder -wie diese pauschal bezeichnet werden -den "Wienern", und schon gar nicht denen da oben. Ratschläge empfindet man als Schläge. Statt auf die Obrigkeiten wird auf Sitte und Brauchtum, auf tatsächliche oder vermutete Haltungen des Volkes selbst gehört, was den Eindruck der konservativen Bürgerlichkeit erweckt. Diesen "ghörigen" Gemeingeist zu erfassen ist schwieriger als ein Leben nach Anordnungen und Vorgaben, erklärt aber wohl das vorsichtige, abwartende und zurückhaltende im Wesen des Vorarlbergers. Einen nicht unwesentlichen Teil seiner Energie investiert der Vorarlberger in das Aufrechterhalten einer "ghörigen" Fassade.

Kein Land, sondern ein Ländle

Die Vorarlberger "Psychogeographie" besteht aus einer kleinen, abgegrenzten Region, die sich als Kopf und nicht als Appendix des Bundesgebildes sieht. Man lebt, wie der Name sagt, vor dem Arlberg und nicht dahinter, wie in vielen Kommentaren hämisch festgestellt wird. Hohe Berge verstellen nicht nur die Sicht, sondern geben Sicherheit. Und das Schwäbische Meer öffnet den Blick für die große, weite Welt.

Vorarlberg ist kein Land, sondern ein Ländle. Dies ist, wie die von Verkleinerungen gespickte Sprache -Hüsle, Lütle, Wieble -unverwechselbar zum Ausdruck bringt, jedem bewusst und löst alles andere als Minderwertigkeitsgefühle aus. "Klein, aber oho" heißt es in einem zum Kult gewordenen Lied von Michael Köhlmeier und Reinhold Bilgeri. Umso wichtiger ist dem Vorarlberger seine Individualität, die sich auch in seinem Lebenstraum spiegelt: Für ihn gibt es nichts Erstrebenswerteres, als im eigenen "Hüsle" zu wohnen.

Paris und Brüssel nicht weiter weg als Wien

Des Vorarlbergers Gefühlsausdruck ist zurückhaltend, kontrolliert, selten überschwänglich. Dies verleiht ihm eine nüchterne, distanzierte Aura, die Besucher irritiert. Wenn ich als Psychiater mit einem auswärtigen Kollegen Patienten untersuchte, kam jener nicht selten zur Diagnose eines depressiven Stupors, während sich mir das Bild eines eigensinnigeren Walsers oder sturen Bregenzerwälders bot. Man wird mit den Vorarlbergern nicht leicht warm, kann sich dann auf Dauer auf sie verlassen.

In seiner Identifizierung von außen betrachtet man den Vorarlberger gerne als konservativ, kleinlich, stur, wenig weltoffen, hinterwäldlerisch, halben Schweizer, er ist gar kein richtiger Österreicher. Die unterstellte fehlende Weltoffenheit übersieht, dass das westlichste Bundesland mitten in Europa liegt, in einem Dreiländereck mit regem Grenzverkehr, von welchem Paris und Brüssel nicht weiter entfernt sind als Wien.

Es heißt, die Vorarlberger hätten keine kulturelle Ader: "Alemannia non cantat". Dem widersprechen der höchste Anteil an Musikschülern und ein starker Muskel in der österreichischen Literaturszene. Besonders bemerkenswert ist die traditionell emanzipierte Stellung der Frau. "Wio geen bean i a Wäldare..." lautet die inoffizielle Hymne des Bregenzerwaldes, in der die Frauen im Mittelpunkt stehen.

Am treffendsten hat wohl der Bregenzerwälder Heimatdichter Gebhard Wölfle das Vorarlberger Selbstideal auf den Punkt gebracht. Auf hochdeutsch übersetzt heißt sein Spruch: "Stets auf das Traditionelle und Bewährte abstellen, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen sein, sich mit der Heimat identifizieren und persönlich authentisch bleiben". Ach ja, Sie werden mich jetzt fragen, wie die Vorarlberger wählen werden. Das kann ich Ihnen genau sagen: ghörig!

Der Autor ist Psychiater und Leiter des Krankenhauses Maria Ebene in Vorarlberg

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