Die Folgen der Unruhe

Werbung
Werbung
Werbung

Peter Lorenz, Architekt aus Tirol, gehört zu jenen, die sich in die politische Debatte einbringen. Mit konstruktiver Kritik, auch an der Branche, mit Alternativen und ausgezeichneten Projekten.

Seine geografische Beweglichkeit ist die äußere Entsprechung zu seiner inneren Unruhe. Der aus Tiroler stammende Architekt Peter Lorenz werkt und wirkt in seinem Wiener Büro, anderntags in jenem in Innsbruck, nächstens in Triest - oder er unterrichtet zum Beispiel in Hongkong: "Mit Studenten zu arbeiten ist fantastisch“, sagt der 62-Jährige. Zu unterrichten und dies in Asien "ist eine rhythmische Übung“, um mit anderen Sichtweisen vertraut zu werden, um nachzudenken "über uns Europäer“, um uns immer wieder infrage zu stellen.

"Mein Denken befindet sich ständig in einem aufgeregten Schwebezustand“, sagt Lorenz. "Was tut man, wenn einen das Gehirn nicht in Ruhe lässt?“, fragt er - rein rhetorisch. Architekt werden, ist man geneigt zu antworten. Und sich zu Wort melden, ergänzt Lorenz. Einige Prozent seiner Zeit gehören der Gesellschaft - "ohne das funktioniert es nicht.“ Architekten seien schließlich mit zuständig dafür, wie die Städte und das Land aussähen. Dem Betrachter zeige sich häufig "Kulturkriminalität“. Dagegen kämpft Lorenz, "denn nur, wenn du etwas deutlich sagst, kannst du gehört werden“.

Wettbewerb der Hässlichkeit

Die Gewerbegebiete an den Stadträndern seien die "Mistkübel der Nation“, monierte er in einem Standard-Interview. Dort würden sich von wenigen Ausnahmen abgesehen "planerischer Dreck“ und "behördliche Zugeständnisse“ sammeln. Die Gewerbegebiete gehörten überdacht, vielleicht umgewidmet, ergänzte er gegenüber der Bauzeitung. Ähnlich misslungen seien die Lärmschutzwände, ein "Wettbewerb der Hässlichkeit“. Inzwischen arbeitet die ASFINAG an Alternativen. Positive Beispiele für beides gebe es zur Genüge.

Vor zwei Jahren initiierte er eine Bewegung für die Erhaltung des Obernbergersees in Tirol. Mit Kollegen besteht Lorenz auf einem Wettbewerb anstatt eines naturzerstörenden Projektes. Von seiner kritischen Haltung bleiben auch Branche und Kollegen nicht verschont: So fühlte er sich zu "scharfer, konstruktiver Kritik veranlasst“, weil die etwa 250 Mitglieder zählende, von ihm geschätzte IG Architektur mit dem - für misslungene Projekte vergebenen - "planlos-award“ lediglich Denunziation betreibe anstatt den Architekturdiskurs voranzutreiben. Es gibt heute "leider in unserer satten Gesellschaft einen erschreckenden Mangel an einem offenen, zivilcouragierten Diskurs und sehr wenig Interesse an Inhalten“, ergänzt Lorenz im FURCHE-Gespräch.

Architektur bedeutet für Lorenz, Probleme und Aufgaben zu lösen. Es geht ihm, der 360 Projekte entwickelte, längst nicht mehr darum, jeder Bauaufgabe seinen "marketingorientierten“ Stil aufzudrücken, sondern langfristige gültige Lösungen zu finden. Was eine andere, vielleicht komplexere Art von Handschrift sein kann. Wichtig ist ihm die Auseinandersetzung mit der "Chance des Ortes“, mit einem vielen Aspekten genügendem Gebäude, das nie alleine eine singuläre Skulptur sein dürfe.

Mit dem Neubau des Menardihauses 1989 in Innsbruck wurde er erstmals über Tirol hinaus bekannt, zahlreiche Projekte folgten, die teils wegen ihrer architektonischen Radikalität oftmals polarisierten. Etwa die Sporthalle für die Alpine Schi-Weltmeisterschaft 2001, die er als provokante schräge blaue Schachtel in das verschlafene, touristische St. Christoph am Arlberg gestellt hat. Er hat schon 2001 den Wettbewerb um die Ilirija-Sportstadt in Ljubljana gewonnen, an der er noch immer werkt, das Hotel Triest und das vielfach ausgezeichnete "Q19“, ein Einkaufszentrum, beides in Wien, geplant. In Triest hat er bisher nur eines von vielen Projekten verwirklicht - eine am Hang schwebende Wohnanlage, das vielleicht einzige Beispiel moderner Architektur in dieser altösterreichischen, verträumten Hafenstadt. In Tirol baut er zurzeit seinen dritten MPREIS für die architekturbewusste Familie Mölk, für eine Firma in Mailand entwirft er ein neues Badezimmer, nachdem er ein gläsernes Waschbecken entwickelt hatte.

"Spezialisierung schläfert das Gehirn ein, Vielfalt bereichert es“, sagt Lorenz, der auch meint, "brave Vorzugsschüler sind in unserem Beruf unbrauchbar, in unserem Team bevorzugen wir engagierte Querdenker“. Dennoch strebt er in seiner Arbeit Perfektion an, was ihm zum Beispiel für das 2009 realisierte Projekt ENER(GIE)NGER in München 2011 den "Award for Excellence“ einbrachte. Dieses Projekt ist eine Showroom und Großhandel auf 2600 Quadratmetern. Charakteristisch ist die Form einer Energiespirale, die ein Lichtspiel im Inneren des Gebäudes erzeugt. Das Projekt, ausnahmsweise skulptural, verkörpert den Grundsatz der Nachhaltigkeit unter anderem durch eine Solarinstallation und eine kombinierte Wärme- und Energieanlage zur Nutzung von elektrischer und thermaler Energie.

Smart Citys als Antwort

Als Architekt entkomme man der Lösung von ökologischen und sozialen Problemen, den städtebaulichen Zusammenhängen und der Energiethematik nicht. Daher befasst sich Lorenz mit der Entwicklung von "Smart Citys“, derzeit etwa für Klagenfurt.

In Ostasien zu sein, entspricht seiner Sehnsucht, die Architektur als Beruf ergab sich per Zufall. Als Maturant kehrte Lorenz von einem Job in Australien und einer Asienreise nach Innsbruck zurück, zu spät, um Medizin zu inskribieren. Da die neue Architekturfakultät wegen Bauverzögerung noch Studenten nahm, kam der Sohn eines österreichischen Vaters und einer italienischen Mutter zur Architektur, erwarb 1975 an der Universität Innsbruck sein erstes, 1983 in Venedig sein italienisches Diplom.

In zweiter Ehe verheiratet mit der italienischen Architektin Giulia Decorti bietet für ihn Hongkong auch Anlässe, familiären Kontakt zu pflegen: Tochter Esther, ebenfalls Architektin, unterrichtet an der "Chinese University of Hongkong“. Er bleibt dabei, nur gelegentlich zu lehren. Zu sehr liebt er die Arbeit mit seinem Team in seinen "Ateliers“ - und den Geruch der Baustellen, wenn sich Gedanken zu Realität verdichten.

Eine Verknüpfung aktueller Themen

Sein erstes Büro eröffnete der 1950 in Innsbruck geborene Architekt Peter Lorenz im Jahr 1980 in Innsbruck, sein zweites 1991 in Wien. Er entwickelte rund 360 Projekte, von diesen wurde etwa ein Drittel realisiert. Diese reichen vom Industriedesign über das Einfamilienhaus, Supermärkte und Einkaufszentren bis zum städtebaulichen Masterplan. Peter Lorenz ist regelmäßig Gastdozent oder Vortragender an den Universitäten in Graz, Triest, Camerino, Hongkong, Nanjing, Bombay, Bangkok, Camerino und Ljubljana. Ausstellungen seiner Entwürfe, Projekte und Bauten wurden bereits in Wien, Neapel, Helsinki, New York, Prag und in Berlin gezeigt. In der Publikationsliste seiner Homepage finden sich acht Titel, dazu Interviews bzw. sonstige Beiträge. Als vorerst jüngste Auszeichnung erhielt Peter Lorenz im Juni 2011 den Award for Excellence des Urban Land Institute in Amsterdam. In allen Arbeiten ist ihm das Prinzip nachhaltiger Architektur wesentlich: Diese hätte humanistische und ethische Prinzipien zu berücksichtigen. Daher verlangt er von der Architektur die Verknüpfung von Ökologie, Nachhaltigkeit und kulturellem Erbe. (c. r.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung