Uns beherrscht die Dummheit

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Bei den 23. Humanismusgesprächen in Salzburg diskutierten heuer die "Alternativen Nobelpreisträger" über die Lage der Welt. Ein Bericht.

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Bei den 23. Humanismusgesprächen in Salzburg diskutierten heuer die "Alternativen Nobelpreisträger" über die Lage der Welt. Ein Bericht.

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Eine Woche lang war Salzburg ein Ort der Begegnung von kritischen Wissenschaftlern aus der ganzen Welt. Über sechzig "Alternative Nobelpreisträger", also Menschen, die für ihre "zukunftweisenden Ideen und Aktivitäten zur Rettung des Planeten Erde" mit dem "Right Livelihood Award" ausgezeichnet worden waren, trafen sich zu einem intensiven Gedankenaustausch in dieser einzigen Stadt der Welt, die gleich zwei Alternativen Nobelpreisträgern Heimat gewesen war: Lepold Kohr, der als Wirtschaftswissenschaftler auf die sozialen Gefahren der Überentwicklung hinwies und die Rückkehr zu kleinen Einheiten forderte, und Robert Jungk, der als wissenschaftskritischer Publizist und Zukunftsforscher verantwortungsvollen Umgang mit Wissenschaft und Technik einforderte.

Jakob von Uexküll, deutsch-schwedischer Philatelist, Journalist und ehemaliger grüner Europaparlamentarier, hat mit dem Verkauf seiner wertvollen Briefmarkensammlung 1980 den "Right Livelihood Award" ins Leben gerufen, der jährlich mit zwölf Millionen Schilling dotiert ist. Sein Anliegen: Beiträge zur "Lösung der drängendsten Probleme der Menschheit, wie Umweltzerstörung und Armut in der Dritten Welt" finanziell und ideell zu fördern. Mit der Verleihung am 9. Dezember, einem Tag vor der Verleihung der Nobelpreise, werden die Preisträger und ihre Projekte einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.

In Salzburg scharte er nun "seine" Preisträger um sich - beeindruckende Persönlichkeiten, die sich im Bildungshaus St. Virgil eingefunden hatten: Mike Cooley, prominenter Wegbereiter angepaßter Technologie aus England, Samuel Epstein, Krebsforscher und vehementer Kritiker von krebserregenden Nahrungsmittelzusätzen und Hormonfleisch, Rosalie Bertell, die sich mit den gefährlichen Auswirkungen der bisher unterschätzten atomaren Niedrigstrahlung beschäftigt, Stephen Gaskin, "Alt-Hippie" und Gründer der Organisation "Plenty" (Reichlich), die Projekte für bedürftige Menschen in den Slums von New York, in der Dritten Welt und neuerdings auch für alte Menschen unterstützt. Aus Kenia war Wangari Maathai anwesend, die als Biologin Umwelprojekte initiierte, und sich nun als Kritikerin der Menschenrechtssituation heftigen Angriffen ausgesetzt sieht.

Alle Persönlichkeiten zu nennen, würde den Rahmen sprengen, doch zwischen all den Preisträgern aus den verschiedensten Kontinenten, die sich in Arbeitsgruppen zu verschiedensten Themen wie Erziehung, Menschenrechte, Gesundheit zu einem gedrängten Arbeitsprogramm zusammengefunden hatten, fiel die heitere Gelassenheit des indischen Umweltaktivisten Sunderlal Baghuna auf.

Als Initiator der "Chipko-Bewegung", die durch Bäume-Umarmen ganze Gebiete des Himalaja vor Raubrodungen rettete, hatte er schon vor mehr als 20 Jahren Österreich besucht, und mit Vertretern der Ökologie-Bewegung im Wienerwald "Bäume umarmt". Jetzt schwebte er fast, alterslos, mit strahlenden Augen stets freundlich lächelnd, in ein einfaches indisches Gewand mit weißem Kopftuch gekleidet, zwischen all den gelehrten Professoren dahin, sodaß man eher seine stille Nähe suchte, als ihn mit konkreten Fragen belästigen wollte.

"Ist diese Welt noch zu retten?"

Ganz anders, als in der ruhigen Abgeschiedenheit des Bildungshauses war die Atmosphäre bei den "23. Salzburger Humanismusgesprächen" im ORF-Landesstudio. Auf Initiative des "Büros für Kulturelle Sonderprojekte" standen die Humanismusgespräche unter dem Titel "Ist diese Welt noch zu retten?" im Zeichen der Alternativen Nobelpreisträger, die sich den kritischen Fragen des Hörfunkintendanten Manfred Jochum stellten.

Am Podium diskutierten der "Barfußökonom" Manfred Max-Neef aus Chile, die Wirtschaftskritikerin und Initiatorin eines angepaßten Entwicklungsprojekts in Ladakh, Helena Norberg-Hodge, der kritische Atomphysiker Hans-Peter Dürr, Johan Galtung, schwedischer Friedensforscher, und der ehemalige brasilianische Umweltminister Jose Lutzenberger, scharfer Kritiker der Agrarchemie und engagierter Kämpfer für den Schutz der Regenwälder und Ureinwohner Südamerikas.

Für Insider war klar, daß es alles andere als eine "angepaßte" wissenschaftliche Diskussion werden würde. Als großes Thema erwies sich die Verantwortung des Wissenschaftlers, in dem er Grundlagen für politische Weichenstellungen erarbeitet, ohne die Folgen zu bedenken. Die große Sehnsucht, die "Natur zu beherrschen", anstatt sie zu beobachten und von ihr zu lernen, stehe am Anfang, meinte Hans-Peter Dürr. Dem Drang, zu erforschen, "was die Welt zusammenhält", fehle heute jegliche spirituelle Dimension, die Wissenschaftler dürften nicht länger "in Schneefelder gehen, bei denen Lawinengefahr droht, und die ganze Menschheit hinter sich am Seil mitreißen".

Auch Max Neef, Ökonom und Initiator dezentraler Wirtschaftsprojekte in der Dritten Welt, verwies auf die wachsende Diskrepanz von Wissen und Verstehen. Am Beispiel der Liebe erläuterte er den Unterschied zwischen Theorie und Praxis: selbst wenn man alle theoretischen Grundlagen über "Liebe" wisse, verstehe man sie nicht, wenn man sie nie erlebt. Max Neef meint, daß wir nicht zuwenig wissen, sondern zu viel, und es heute an Gefühl für Zusammenhänge mangle. "Uns beherrscht die Dummheit," meinte er provokant und kritisierte die Ökonomen, deren theoretischen Modellen die Menschen im Wege stehen.

Helena Norberg-Hodge, die vor über zwanzig Jahren in Ladakh die Sprache und Lebensweise der damals noch völlig unberührten Kultur der Ureinwohner studieren konnte, und im Laufe der Jahre die zerstörerische Kraft von Tourismus und "Entwicklung" im westlichen Sinn dokumentierte, wurde aus dieser Erfahrung zur vehementen Kritikerin der Konsumgesellschaft. Die Konzentration der wirtschaftlichen Macht in den Händen einiger weniger, weltweit "regierenden" Konzerne, führen zur Entdemokratisierung, was zum Ansteigen von Verunsicherung und in der Folge zu Fundamentalismus und Faschismus führt. Die Gleichschaltung von Werbung über Satellitenprogramme in die entlegensten Dörfer der Dritten Welt, die Weckung künstlicher Bedürfnisse drücke vor allem auf Jugendliche, die ihre traditionellen Kulturen und Werte verlassen, und in die Slums der Großstädte ziehen. Es sei kein "Fortschritt", sondern eine Art von Kolonialisierung, mit der einst autarke Kulturen abhängig gemacht werden.

Auch Jose Lutzenberger berichtet von ähnlichen Erfahrungen in Brasilien, denn auch dort benehmen sich "Menschen wie Krebs". Der gesamt subtropische Regenwald wurde ausgelöscht, der tropische Regenwald - die Klimamaschine für die ganze Erde - bestehe nur mehr zu 80 Prozent. Das passiert, weil "Soja für die fetten Kühe des gemeinsamen Marktes" angebaut wird, und nicht um hungernde Brasilianer zu ernähren. Große Dämme, nicht dezentrale Anlagen zur Stromversorgung, werden gebaut, weil bei Großbauten durch Korruption viel mehr zu verdienen sei. Jose Lutzenberger weiß als ehemaliger Umweltminister, wovon er spricht, denn er scheiterte an der allgegenwärtigen Korruption mit seinen anfangs erfolgreichen Schutzprogrammen für Yannomammi-Indianer und Regenwaldgebiete.

Vom Optimismus geprägte Perspektiven In der Schlußrunde gab es einige konkrete Forderungen für die "Rettung dieser Welt", denn alle Alternativen Nobelpreisträger sind von Optimismus getragen. Keine Problemlösungen für die Zukunft mit dem rückschrittlichen Weltbild des 19. Jahrhunderts im Kopf, das die Welt als entcodifizierbare Maschine betrachtet, forderte Hans-Peter Dürr. Es gehe nicht nur um die Natur, die bedroht ist "die lacht sich einen Ast und regeneriert", es gehe schlicht um das Überleben des Menschen. Helena Norberg-Hodge forderte ein Moratorium für Subventionen an das "big business" und für internationale Verträge wie das MAI-Abkommen. Dezentrale Projekte mit angepaßter Technologie, Aktivitäten gegen die Medienkonzentration und Gleichschaltung von sozialen Strukturen, der unermüdliche Kampf gegen "Regulierungen, die wir nicht mehr durchschauen können", und gleichzeitig der Aufbau von alternativen Gemeinschaften sind ihr Programm für die Zukunft.

Jose Lutzenberger setzt auf viele kleine Schritte gegen die dramatische Entwicklung der Konsumgesellschaft. Die "Fachidioten" an den Universitäten würden nur mehr technischen Fundamentalismus lehren, es sei Zeit, wieder die Zusammenhänge des Lebens in den Vordergrund zu stellen und nicht - zum Beispiel völlig absurde -gentechnische Patente zu fördern.

Der Tenor der Veranstaltung trotz der Anwesenheit prominenter und anerkannter Wissenschaftler: Nicht die Wissenschaft wird die Probleme der Welt lösen können, sondern nur eine Rückbesinnung auf Spiritualität und Toleranz. Nicht die Beherrschung der Welt, sondern die Unterordnung in ihre begrenzten Möglichkeiten müssen den Weg ins nächste Jahrtausend kennzeichnen. Gemäß den Worten Mahatma Gandhis, die Jakob von Uexküll zum Motto seiner Stiftung gemacht hat: "Die Welt bietet genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier".

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