"Zeit für große Schritte"

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Umfassenden Umweltschutz und globale Gerechtigkeit hält der Begründer des alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, für die wichtigsten Voraussetzungen für weltweiten Frieden. Im furche-Interview spricht er über seinen "Weltzukunftsrat", das Verhältnis der EU zur Türkei und darüber, was die Kirchen leisten könnten, wenn sie nur wollten.

Die Furche: Sie sind zu einer Veranstaltung über den "Global Marshall Plan" (siehe Furche Nr. 43) nach Wien gekommen. Wie stehen Sie zu diesem Projekt?

Jakob von Uexküll: Ich finde das eine spannende Idee. Ich glaube auch, dass die Fixierung auf die EU sehr interessant ist. Die EU muss aus dem Schatten der USA herauskommen und weltweit ein Modell für eine gerechte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsordnung präsentieren. Sonst steuern wir in mehrere Katastrophen. Es ist heute Zeit für große Schritte. Ich habe einen Vorschlag für einen Weltzukunftsrat gemacht, in dem solche Ideen aufgegriffen und diskutiert werden sollen.

Die Furche: Was soll dieser Weltzukunftsrat leisten?

Uexküll: Er soll themenübergreifend sein. Es gibt all diese Expertenkommissionen, die sich auf ein Thema stürzen. Wenn es um Energiesparen geht, heißt es dann, wir können zehnmal so viel Wohlstand mit einem Viertel des Energieaufwandes haben. Wenn man fragt, warum das nicht passiere, heißt es, dazu müsse man die ganze Steuergesetzgebung ändern, die Abschreibungsgesetze und so weiter. Aber das ist ein anderes Thema, und diese Themen werden nicht zusammen behandelt. Es gibt Kommissionen, die sagen, wir müssen das Rentenalter senken, um die Jugendarbeitslosigkeit zu senken, andere sagen, wir müssen das Rentenalter erhöhen, weil das sonst für die junge Generation nicht bezahlbar ist. Im Rahmen des Weltzukunftsrates werden diese verschiedenen Themen zusammen behandelt. Der Rat wird nicht isoliert dastehen. Er wird unterstützt von kleinen Expertenkommissionen. Und er wird eng mit Parlamentariern in aller Welt zusammenarbeiten.

Die Furche: Wenn dabei die Europäische Union eine Rolle spielen soll: Hat sie nicht schon genug damit zu tun, die Erweiterung zu verkraften?

Uexküll: Wenn heute weltweit Wahlen wären, dann würde Osama bin Laden George W. Bush haushoch schlagen. Allerdings wohl nur, wenn bloß zwischen diesen beiden gewählt werden könnte. Die meisten Menschen wollen eine dritte Möglichkeit. Und ich sehe momentan außer der EU keine Institution, die eine solche Alternative entwickeln könnte. Sie wird nicht aus Asien, nicht aus Afrika, nicht aus Lateinamerika kommen. In diesen Regionen setzt man große Hoffnung in die EU, wobei man sie als Gegenpol zur Dominanz der USA sieht. Natürlich muss man befürchten, dass die EU jetzt mit der Erweiterung eine Aufgabe hat, durch die sie sich jahrelang mit sich selbst beschäftigen wird. Darum ist es gut, wenn man sie mit dem Zustand der Welt konfrontiert, wenn eine Initiative wie der Global Marshall Plan an sie herangetragen wird.

Die Furche: Wie stehen Sie zur Türkei, gehört sie in die EU?

Uexküll: Ich habe türkische Freunde, die sagen: Wir sind gar nicht sicher, ob wir in die EU wollen, denn das wird wahrscheinlich eine Mitgliedschaft zweiter Klasse. Ich meine: Wenn Europa sich nicht den moderaten Kräften in der islamischen Welt öffnet und versucht, mit ihnen eine gemeinsame Zukunft zu schaffen, dann ist die Gefahr groß, dass die moderaten Kräfte schwächer werden und die radikalen überhand nehmen. Wir können uns nicht verschließen und sagen: Wir sind ein christliches Europa. Davon habe ich nämlich nichts gemerkt, als es im Jahr 2000 die Kampagne gab, um die Schulden der Dritten Welt zu erlassen. Die christlichen Regierungen haben sich nicht besonders dafür eingesetzt.

Die Furche: Sie haben Bush und bin Laden genannt. Aber wie würde jemand wie Johannes Paul II. bei einer weltweiten Abstimmung abschneiden?

Uexküll: Das ist schwer zu sagen. Der Papst sagt ab und zu sicher richtige Sachen, dann sagt er wieder Dinge, von denen viele Leute entsetzt sind. Aber das Problem ist, dass die Taten nicht folgen. Die größte Herausforderung, vor der wir heute stehen, ist eine gerechte Weltordnung in einer Welt zu schaffen, wo die materiellen Grenzen des Wachstums immer klarer werden. Da hat der Patriarch von Konstantinopel unter den christlichen Kirchenführern die bei weitem aktivste Rolle ergriffen. Es werden regelmäßig Symposien über Religion, Wissenschaft und Umwelt organisiert. Ich habe auf dem Symposium vor zwei Jahren vor hohen Würdenträgern aller Glaubensrichtungen die Frage gestellt, warum sie nicht aktiver gegen Umweltsünden vorgehen. Am Ende gab es eine gemeinsam vom Papst und vom Patriarchen unterzeichnete Deklaration, dass die Reichen Opfer bringen müssen, um eine gerechte, nachhaltige Weltordnung zu schaffen. Das blieb eine Ein-Tages-Nachricht. Als ich nach Spanien kam, war das dort komplett unbekannt. Man hat das in den Kirchen nicht durchgesetzt.

Die Furche: Das heißt, es gibt eine Kluft zwischen dem, was Kirchenführer denken und dem, was sie sagen?

Uexküll: Ja, es gibt diese Kluft zwischen Worten und Taten, die zu einem Glaubwürdigkeitsverlust führt. Wenn der Dalai Lama hier auftaucht mit seiner sehr simplen Botschaft, aber eben einer Botschaft, die er lebt, bringt er viel mehr Leute auf die Beine als die meisten christlichen Führer. Wenn man die Glaubwürdigkeit verloren hat, ist es ungeheuer schwer, sie wieder aufzubauen. Viele kirchlichen Heime und Konferenzzentren laden jetzt Vertreter des Big Business zu Diskussionen über Ethik und Leadership in Krisenzeiten ein. Ich bin bei einigen davon gewesen und habe gemerkt, wie ängstlich dort die Vertreter der Kirchen auftreten. Die wagen gar nicht mehr, auf dem Primat der moralischen Macht zu insistieren. Das schockiert mich. Wenn Sie mit Wirtschaftsvertretern reden, kommen Sie weiter. Die sehen ja, dass es so nicht weitergehen kann. Sie sind zum Teil Gefangene dieser kurzfristigen Ideologie, aber haben durchaus einen Weitblick, während man bei den Kirchen fast nur eine defensive Haltung erlebt.

Die Abergläubigkeit der Moderne ist ja erstaunlich, dieser Glaube, dass wir in einer rein materialistischen und mechanistischen Welt leben, in der die einzige Möglichkeit, uns zu verwirklichen, darin besteht, so viel materiellen Reichtum wie möglich anzuhäufen. Das hat uns ja gerade die Probleme gebracht. Statt dass die Kirche das sieht, läuft sie noch hinterher, macht ein paar schöne Erklärungen, aber das Handeln fehlt. Deswegen haben wir ein moralisches Vakuum.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

Der Vorkämpfer

Jakob von Uexküll wurde 1944 als Staatenloser in Uppsala (Schweden) geboren. Er stammt aus einem baltischen Adelsgeschlecht. Sein Großvater, ein Biologe, begründete an der Universität Hamburg die Umweltforschung. Der Vater wurde während der NS-Zeit wegen Sympathien für die Juden aus Deutschland ausgebürgert.

Jakob von Uexküll absolvierte an der Universität Oxford Studien der Politik, Philosophie und Wirtschaft und reiste dann um die Welt. Er war schockiert vom Abbrennen der Regenwälder und der Armut in den südlichen Ländern und beschloss, etwas dagegen zu tun. Als das Nobelpreiskomitee keinen Preis für Ökologie einführen wollte, stiftete er mit dem Erlös seiner wertvollen Briefmarkensammlung

eine eigene Auszeichnung: den "Right Livelihood

Award", den Alternativen Nobelpreis.

Er wird heuer zum 25. Mal vergeben.

Uexküll glaubt, sein Preis werde dem Erbe Nobels mehr gerecht als die Vergabepraxis durch das Nobel-Komitee: "Alfred Nobel wollte diejenigen ehren, die der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben", betont er. Er hält derzeit die Rettung des Regenwaldes für weitaus nützlicher als jede noch so bedeutende Entdeckung auf dem Gebiet der Chemie oder Physik. Jakob von Uexküll, der sich vielfach für den Umweltschutz eingesetzt hat und von den deutschen Grünen auch ins Europaparlament entsandt wurde, konzentriert sich jetzt vor allem auf ein

neues Ziel - einen Weltzukunftsrat.

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