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Weltgeschichte als knallbuntes Bilderbuch

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Auf den ersten Blick mag mancher das Buch „Metropolis" von Albert Lorenz für ein Kinderbuch halten. Aber das ist es nicht. Genausowenig wie die Bücher von David Mc-Cauley („Sie bauten eine Stadt"), in dessen Tradition er steht. Lorenz ist einerseits ein amerikanischer Architekturzeichner und Illustrator, letzteres unter anderem für „National Geographie", andererseits Professor für Medien und Kommunikation. Und ohne weiteres hätte der Kommunikationsfachmann dem Illustrator sagen können: „Paß auf, Geschichte ist immer wieder ein hochinteressantes Thema, aber sie wird meistens viel zu abstrakt erzählt. Es wäre höchste Zeit, daß einmal nicht ein Wissenschaftler für andere Wissenschaftler darüber schreibt, sondern daß einer darüber ein Buch für ganz gewöhnliche Leute gestaltet. Mit wenig Text und vielen Zeichnungen." Genau dies tat Lorenz.

Er ist ein Könner. Ein Zeichner, der seine Blätter mit Figuren und Figürchen und winzigsten Einzelheiten randvoll anfüllt und dabei doch eine gewisse Übersichtlichkeit wahrt. In seinem Vogelschau-Bild Wiens im 18. Jahrhundert läßt er beispielsweise die Hofburg direkt an den Stephansdom angrenzen, umgibt die ganze Stadt mit einem Wassergraben (was nie der Fall war), und Italien ist einen Steinwurf entfernt, was natürlich unter die Bubrik künstlerische Freiheit fällt.

Die daneben stehende historische Information über Wien enthält hingegen nur ganz wenige Ungenauig-keiten. Mit etwas Beckmesserei könnte man ihm vorhalten, daß die Botschaft, um die Mitte des 16. Jahrhunderts seien bereits drei Viertel der Wiener Bevölkerung protestantisch gewesen, so nicht ganz stimmt. Schon vor 1529 war ein großer Teil der Wiener Bevölkerung der katholischen Kirche entfremdet, doch hat es damals ideologisch gewurlt, die Protestanten waren eine wichtige unter den Gruppen, denen die Kritischen, Unzufriedenen, Aufsässigen zuliefen. Viele „Dissidenten" hingen aber nicht Luther an, sondern waren Wiedertäufer.

Doch darauf kommt's nicht an. „Metropolis" ist ein Buch für Leute, die gern viel schauen und wenig lesen, für diesen Typ optimal gemacht. Wenn Lorenz den Bau von Notre Dame de Paris beschreibt, schwelgt er zwar mit dem Stift in den Einzelheiten, verliert aber (wie er fairerweise selbst zugibt: dank guten Mitarbeitern) kein Wort zuviel. Allerdings auch keines zuwenig. Eine so komplizierte Sache wie die Fundamentierung einer Kathedrale wird zum Beispiel folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Oft befanden sich nach Vollendung des Bauwerks ebenso so viele Steine unter der Erde wie darüber."

Da man mittelalterliche Bautechnik nicht visualisieren kann, wenn man sich nicht intensiv mit ihr befaßt hat, dürfte Lorenz eine Menge von diesem Kapitel der Architekturgeschichte verstehen. Dadurch kann er, mit Worten lakonisch sparsam, Vorgänge so erklären, daß für den interessierten Leser kleine Aha-Erlebnisse herausschauen. Zum Beispiel, daß sehr viel darauf ankam, die Verschalungen, mit deren Hilfe man die Steinrippen des typischen gotischen Maßwerks aufrichtete, weder zu früh noch zu spät zu entfernen: „Nahm man sie weg, bevor der Mörtel genügend trocken war, konnte der Bogen einstürzen. Nahm man sie indes zu spät weg, war der Mörtel möglicherweise bereits zu hart, so daß sich die Steine nicht senken konnten und die ganze Konstruktion nicht ihre optimale Stärke erreichte. Durchgetrocknet war der Mörtel - eine Mischung aus Kalk, Wasser und Sand - so hart wie Zement." Kleine Ergänzung: Säure verbesserte den Mörtel. Weshalb den Wienern in einem Jahr, in dem der Wein so sauer geraten war, daß man ihn weder trinken noch verkaufen konnte, verboten wurde, ihn einfach wegzuschütten. Sie mußten ihn zum Ver-mörteln zur Baustelle der Stephanskirche bringen.

Lorenz faßt in seinem Buch die Geschichte der letzten tausend Jahre zusammen. Zentrum der Geschehnisse sind zehn große Städte, auch der Titel zollt der Bedeutung der Ballungszentren Tribut. Jede dieser Städte steht für ein bestimmtes Jahrhundert, Jerusalem für das elfte, Paris für das zwölfte und so weiter, es folgen eine mongolische Zeltstadt, Koblenz, Lissabon und Mocambique, Florenz, Osaka, Wien, London und schließlich New York als „die" Stadt des 20. Jahrhunderts. Lissabon und Mocambique treten gemeinsam auf, weil letzteres einen frühen Meilen - stein in der Entdeckungsgeschichte darstellt und den Portugiesen eine herbe Enttäuschung bereitete, als sie feststellen mußten, daß ihr Stolz, ihre Tauschartikel, hier als Ware minderer Qualität kaum Beachtung fanden. Aber auch die Ankunft in Mombasa war ein Flöp. Die Portugiesen meinten, die Stadt sei zu Ehren ihrer Ankunft festlich beflaggt, doch sie feierte bloß das Ende des Bamadan. Durch das ganze Buch zieht sich wie ein roter Faden die Gegenüberstellung detailreicher Zeichnungen und knapper Texte. Der Gedanke, daß sich Raffael, Holbein, Tizian, Dürer und Machiavelli ungefähr um dieselbe Zeit in Florenz aufhielten, regte Lorenz an, sie, wie in einem Vexierbild, im Straßengetümmel unterzubringen, während man durch geöffnete Wände in Leonardos Atelier blickt, wo an der Wand das Bild der Mona Lisa hängt, von dem er sich bekanntlich niemals trennte.

Es wäre leichfertig, ein solches Buch als primitiv abzutun. Ähnlich wie Lernprogramme oder CD-ROMs an den Spieltrieb, appelliert es an die Schaulust. Was dabei an Wissen vermittelt wird, ist gar nicht so wenig. Weiter vorn haben wir erfahren, wie Portugal zur Weltmacht wurde - im vorletzten Kapitel wird am Beispiel Londons Verständnis dafür geweckt, wie die Menschen des 19. Jahrhunderts Veränderungen erlebten, die für sie nicht weniger chaotisch, undurchschaubar, unbeeinflußbar und dramatisch abliefen als die heutigen Veränderungen für uns.

METROPOLIS

Zehn Städte - Zehn Jahrhunderte Von Albert Lorenz mit Joy Schleh Karl Messing Vertag, München 1996 64 Seilen, reich bebildert, öS 295,-

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