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Ulrike Riedel, Berliner Rechtsanwältin, ehemaliges Mitglied der deutschen Enquetekommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" und Expertin zum Thema "Kind als Schaden", über das umstrittene ogh-Urteil und die "verfassungswidrige" österreichische Abtreibungsregelung.

Die Furche: Frau Riedel, wie bewerten Sie das ogh-Urteil im Fall Emilia Diana R.?

Ulrike Riedel: Ich finde es konsequent. Das Gericht zieht sich zurück auf die rein schadensrechtliche Betrachtungsweise. Wenn ein Arzt einen Fehler gemacht hat, dann muss er für die Folgen dieses Fehlers haften. Wobei der ogh diesen Fall zu Recht auf die vorangegangenen Instanzen zurückverwiesen hat, weil nicht geklärt wurde, ob die Frau tatsächlich einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen hätte, wenn die Aufklärung vollständig gewesen wäre. Das muss sie erst belegen.

Die Furche: Die Frage ist: Kann ein Kind ein Schaden sein?

Riedel: Der ogh hat wie der deutsche Bundesgerichtshof festgestellt: Nicht die Existenz des Kindes ist der Schaden, sondern der Schaden sind die materiellen Unterhaltsbelastungen der Eltern für ein Kind, das infolge eines ärztlichen Fehlers geboren wurde. Das muss man klar trennen. Nun ist es sicher eine ethisch achtbare Haltung, diese Lösung zu kritisieren. Doch die Folge wäre, dass ein Arzt für seine Nachlässigkeiten oder unzureichende Aufklärung im Zusammenhang mit der Fehlbildungsdiagnostik nicht haftet.

Die Furche: Der betreffende Mediziner hat die Auffälligkeiten aber korrekt diagnostiziert - und die Frau mit den Worten "Sie gehen mir jetzt in die Risikoambulanz!" weitergeschickt ...

Riedel: Das ist aber keine ordnungsgemäße Aufklärung! Hierzu gehört, dass er ihr die Informationen liefert, damit sie eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann. Wie soll sie das können, wenn er ihr nicht sagt, warum sie in die Risikoambulanz gehen soll und was die Folgen sein können, wenn sie es nicht tut? Ich gehe natürlich wie der ogh auch von einem eventuellen Mitverschulden der Frau aus. Sie hätte fragen sollen: Warum soll ich denn in die Risikoambulanz gehen? Aber die Aufklärung des Arztes war trotzdem grob unvollständig. Dazu kommt, dass das Urteil auch hinsichtlich der österreichischen Strafrechtslage konsequent ist.

Die Furche: Inwiefern?

Riedel: Österreich hat eine absolut uneingeschränkte embryopathische Indikation. So lange Österreich daran festhält, dass eine Frau jederzeit abtreiben darf, wenn das Kind möglicherweise schwer behindert ist, muss der Arzt ihr auch die Möglichkeit dazu geben - zumal der Ultraschall, mit dem eine Fehlbildungsdiagnostik ermöglicht wird, zum medizinischen Standard der Schwangerenvorsorge gehört. Ich persönlich meine, dass es gegen das Diskriminierungsverbot in der österreichischen Verfassung verstößt, wenn behindertes Leben ohne Einschränkung bis zur Geburt straflos abgetrieben werden darf, während in anderen Fällen zu Recht Einschränkungen bestehen. In Deutschland wurde diese embryopathische Indikation 1995 abgeschafft: Hier kommt es nur auf die Konfliktsituation zwischen der Gesundheit der Frau und dem Lebensrecht des Kindes an: Wenn die Frau in ihrer physischen und psychischen Gesundheit schwer bedroht ist durch die Erwartung und spätere Versorgung dieses Kindes, dann kann ein Abbruch auf Grund medizinischer Indikation zulässig sein. Seitdem sind die Haftungsfälle in Deutschland erheblich zurückgegangen. Denn ein Arzt haftet für Kindesunterhalt selbstverständlich nur, wenn der verpasste Abbruch der Schwangerschaft im konkreten Fall auch zulässig gewesen wäre.

Die Furche: Wie müsste in einem deutschen Arzthaftungsprozess diese "schwere Bedrohung" der psychischen Gesundheit durch ein behindertes Kind nachgewiesen werden?

Riedel: Durch Sachverständigengutachten. Natürlich ist es ein Problem, dass Frauen, die es schaffen, sich gegenüber den Gutachtern als schwach und seelisch zerbrechlich darzustellen, eher die Chance haben, eine medizinische Indikation diagnostiziert zu bekommen, als diejenigen, die robuster sind und sich mit der Situation besser abfinden können. Aber es geht hier um konkrete Einzelfälle von schweren Fehlern des Arztes, und ich sehe keine Möglichkeit, wie man ein vertrauensvolles Arzt-Patientin-Verhältnis aufrecht erhalten kann, wenn eine Haftung des Arztes für Fehler mit womöglich lebenslangen Folgen für die Eltern ausgeschlossen wird oder auf eine bloße Honorarrückzahlung beschränkt wird.

Die Furche: Haben Sie nicht die Sorge, dass Österreichs Ärzte sich durch das ogh-Urteil gezwungen fühlen werden, Schwangeren alle erdenklichen Risiken an den Kopf zu werfen?

Riedel: Diese Sorge habe ich schon. Ich meine daher, dass die Aufklärung der Frau schon vor der Vornahme der Diagnostik, also vor dem Ultraschall, erfolgen müsste. Der Arzt muss der Frau sagen: Ich kann unter Umständen Dinge erkennen, die nicht therapierbar sind und die Sie vor schwierigste Entscheidungskonflikte stellen: Wollen Sie das wirklich?

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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