Jedes Kind ist willkommen

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Selbstverständlich ist die Geburt eines Kindes mit Behinderung kein „Schaden“, wie groß die Betroffenheit der Eltern über die Tatsache der Behinderung auch sein mag.

Emil hat Geburtstag, er ist zwei Jahre auf der Welt. Bei seiner Geburt habe ich geschrieben: „Emil, schön, dass Du da bist!“ Heute möchte ich diesen Satz unterstreichen und ergänzen durch: „Schön, dass es Dich gibt!“ Emil ist das behinderte Baby, das die Republik Österreich auf ein menschenwürdiges Leben geklagt hat. Zwar wurde die Klage von den Gerichten aus formalen Gründen abgewiesen, doch hat sie auch eine politische Diskussion ausgelöst. Politische Geschenke können am zweiten Geburtstag zwar nicht überreicht werden, doch die Politik ist dabei, ein Paket zu schnüren, das klarlegt, dass die Geburt eines behinderten Kindes keinen Schadensfall darstellt. Der Text für die Glückwunschkarte könnte dem aktuellen Regierungsprogramm entnommen sein: „Selbstverständlich ist die Geburt und Existenz eines Kindes mit Behinderung kein Schaden, wie groß die Betroffenheit und Trauer der Eltern über die Tatsache der Behinderung ihres Kindes auch sein mag. Das Kind mit all seinen Eigenschaften, selbstverständlich auch mit einer oder mehreren Behinderungen, ist der Gesellschaft und der Rechtsordnung in höchstem Maße willkommen und verdient gerade im Falle von Behinderung die größtmögliche Zuwendung und Förderung.“

Die OGH-Urteile und ihre Folgen

OGH-Urteile der letzten Jahre standen Eltern von mit einer Behinderung geborenen Kindern hohe Schadenersatzsummen zu. So wurde 2007 in Kärnten eine Klinik dazu verurteilt, die gesamten Unterhaltskosten eines Kindes zu tragen, weil im Rahmen der Pränataldiagnostik dessen Behinderung nicht erkannt wurde. Dies hat immense Folgen:

Bei der Betreuung von schwangeren Frauen drängen Ärzte dazu, die ganze Palette an vorgeburtlichen Untersuchungen durchzuführen – auch ohne Anlass – mit zusätzlichen Risiken für das werdende Kind. Sie raten schon bei geringstem Verdacht auf eine Behinderung zu einer Abtreibung. Für Eltern, insbesondere aber die Frauen gibt es keine Zeit der guten Hoffnung mehr. Sie stehen unter massivem Druck, unbedingt ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Eltern, die von vornherein eine Abtreibung ablehnen, werden finanziell benachteiligt, weil sie keinen Anspruch auf Schadenersatz haben.

Der Druck auf Ärzte und Ärztinnen wurde durch die Urteile enorm. Sie müssen alles unternehmen, um jedes mögliche Risiko auszuschalten, um nicht mit sehr hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert zu werden. Dies hat weiters enorme Auswirkungen auf ihre Berufsausübung und die Praxis der Pränataldiagnostik insgesamt.

Durch das derzeitige Schadenersatzrecht und die darauf aufbauenden OGH-Urteile sind behinderte Kinder ein „Schadensfall“. Auch wenn in den Urteilen betont wird, dass das behinderte Kind keinen Schaden darstellt, sind die faktischen Bewertungen völlig anders, denn die Eltern erhalten eben nur deshalb Schadenersatz, weil das Kind behindert ist und dies vor der Geburt hätte festgestellt werden können.

Die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Leben mit Behinderung wird dadurch sehr negativ konnotiert. Zusätzlich lässt man die Gerichte in der Zwickmühle, eine Wertung vorzunehmen, die inhaltlich und vor dem Hintergrund der Menschenrechtskonvention äußerst problematisch ist.

Politik muss Recht ändern

Ende 2009 lud ich Ärzte, Politiker, Juristen und Behindertenvertreter zu einem Gleichstellungsdialog ins Parlament. Ebenso fand im Justizministerium im März 2010 eine Enquete zum Thema „Behindertes Kind als Schadensfall“ statt. Die Schlussfolgerungen aus beiden Veranstaltungen können wie folgt zusammengefasst werden:

• Änderungen im Schadenersatzrecht sind notwendig. Die Geburt eines behinderten Kindes darf kein Schadensfall sein.

• Regelung im Sozialrecht notwendig. Eltern sollen für behindert geborene Kinder mehr Unterstützung bekommen. Bei der Regelung soll auf Ungerechtigkeiten, wie sie derzeit durch die Schadenersatzklagen zwischen vorgeburtlich diagnostizierbaren und nicht diagnostizierbaren Behinderungen entstanden sind, Rücksicht genommen werden.

• Verstärkte Förderung von behinderten Kindern. Dies betrifft die Weiterentwicklung der vorgeburtlichen Beratung von werdenden Eltern (nicht nur medizinisch-defizitorientiert, sondern auch psychosoziale Beratung und Aufzeigen von Perspektiven des behinderten Kindes), die Frühförderung, Inklusion in Kindergarten und Schule und die finanzielle Unterstützung.

Emil hat mutige Eltern. Sie haben sich für ihn entschieden, obwohl sie vor der Geburt schon von seiner Behinderung gewusst haben. Es ist die Aufgabe der Politik, rasch die Förderinstrumente zur Unterstützung behinderter Kinder zu verbessern. Gleichzeitig muss im Schadenersatzrecht festgelegt werden, dass die Geburt eines behinderten Kindes keinen Schadensfall darstellt. Die Fortschritte in der Diskussion der letzten Monate lassen mich darauf hoffen, dass die Neuregelung noch in diesem Jahr im Parlament beschlossen werden kann.

* Der Autor ist Medienpädagoge, Abg. zum Nationalrat und ÖVP-Behindertensprecher

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