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Die Zweideutigkeit der Interpretationen

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dieses ersten Wahlganges hat eine verhältnismäßig simple Erklärung: während sich die Christlichdemokraten auf den Standpunkt stellen, daß politische Wahlen eine Sache, Gemeindewahlen aber eine andere seien, und daher zum Vergleich die Ergebnisse der letzten Gemeindewahlen von 1946 heranziehen, stützt sich die sozialkommuni-n'stische Opposition auf die Ergebnisse der politischen Wahlen vom 18. April 1948. Der Unterschied wird dann sofort klar, wie das Beispiel Mailands zeigen kann. Dort erhielt der „Kreuzschild“ 1946 167.000 Stimmen, 1948 364.000, 1951 238.000 Stimmen. Der Linksblock erhielt 1946 375.000, 1948 272.000 und 1951 289.000 Stimmen. In sämtlichen 26 Provinzen ,wo Provinzialwahlen stattgefunden haben (die autonome Provinz Trient blieb ausgenommen), betrugen die christlichdemokratischen Stimmen 1948 1,228.000, 1951 889.000, die des oppositionellen Linksblocks hingegen 1948 957.000, 1951 1,026.000 Stimmen.

Eine so auffallende Kräfteverschiebung zwischen 1948 und 1951 ist einige Betrachtungen wert. Die Gemeindewahlen von 1946 erfolgten in einem ganz besonderen politischen Klima, das von den Folgen der Niederlage, des eben erst verrauchten blutigen Bürgerkrieges, vom Ausschluß weiter Kreise politisch Belasteter, vom Pendelausschlag von der äußersten Rechten zur äußersten Linken, von der Tatsache, daß allein die Kommunisten und die Nenni-Sozialisten über einen wohlfunktionierenden Parteiapparat verfügten, beeinflußt war. Dem Linksblock gelang es in den Gemeinden Posten zu beziehen, die ihnen schon zwei Jahre später längst nicht mehr zukamen und die erst 1951 die notwendige Korrektur erhielten. Diese Korrektur jetzt vorgenommen zu haben, ist das Verdienst der Christlich-demokratischen Partei.

Will man der linksoppositionellen Propaganda folgen und den Vergleich der Gemeindewahlen 1951 mit den politischen Wahlen von 1948 als gültig betrachten, so ist ein auffallender Rückschritt der Partei Degasperis unverkennbar. Aber ebenso unverkennbar ist, daß von den verlorenen Stimmen der DC nicht eine einzige dem Linksblock zugute gekommen ist, sondern lediglich den übrigen demokratischen Parteien. Der verhältnismäßig geringfügige Stimmengewinn der Kommunisten, oder, eher noch, der Nenni-Sozialisten, ist von der sozialdemokratischen Seite her bezogen

worden, wo sich die ewigen Unsicherheiten und Spaltungen als verheerend herausgestellt haben. Das Blatt Sara-gats, „La Giustizia“, wirft der eigenen Partei in reuevoller Selbstanklage eine endlose Reihe von Fehlern vor: Zickzackpolitik, zweimaliges Ausscheiden aus der Regierung innerhalb von 16 Monaten, ohne dem Land dafür genügende Gründe geben zu können, die zweideutige Haltung der Regierung gegenüber,die gleiche Unsicherheit in bezug auf den Atlantikpakt, Fehlen eines präzisen Programms, vage Appelle an die soziale Gerechtigkeit und historische Reminiszenzen über den Ursprung des Sozialismus, babylonische Konfusion nach der sogenannten Wiedervereinigung. Hier allein liegt die wahre Niederlage der demokratischen Parteien Italiens, wenn von einer solchen gesprochen werden kann. Hier findet sich auch die Erklärung dafür, daß die Abfallbewegung im italienischen Kommunismus, zu der die Abgeordneten C u c c h i und M a g n a n i das Signal gegeben hatten, im Sande verlaufen mußte, da man den Proselyten nichts weiter zu bieten hatte als Unsicherheit und Konfusion.

Wie erklärt sich aber dann der Rückfall der Christlichdemokraten? Man muß sich an das „Wahlklima“ vom April 1948 erinnern, um das Wahlergebnis richtig zu werten. 1948 gab es nur eine einzige Alternative: Kommunismus oder Demokratie. Die Furcht vor der Bolschewisierung und vor der Stimmenverzettelung veranlaßte Millionen von Wählern verschiedenster politischer Schattierung, ihre Stimmen der Democrazia Cristiana zu geben. Man kann sagen, daß der „Kreuzschild“ der Christlichen Demokraten im Jahre 1948 mehr Stimmen erhielt, als ihm im Grunde zukam, und daß sich der echte Fortschritt dieser Partei in dem Stimmenzuwachs zwischen den Wahlen von 1946 und jenen von 1951 ausdrückt. Diesmal hatten es die demokratischen Wähler nicht nötig, sich allein an die Partei Degasperis zu wenden, wenn sie ihren persönlichen Auffassungen Ausdruck geben wollten, ohne den Kommunisten Vorschub zu leisten. Man hat Degasperi vorgeworfen, er habe das System der „gekoppelten Wahllisten“ erfunden, um seiner Partei auf jeden Fall den Sieg zu sichern. In Wahrheit ist gerade das Gegenteil der Fall: die „gekoppelten Wahllisten“ begünsti-genvonvornhereindiemitden Christlichdemokraten verbündeten Minderheitsparteien, also Republikaner, Sozialdemokraten und Liberale. Indem Degasperi es diesen gestattete, sich in völliger Gewissensfreiheit unter die eigene Parteifahne zu scharen, ohne befürchten zu müssen, daß die Stimme für den Kampf gegen den Kommunismus verlorenging, hat er einen Beweis seiner echten demokratischen Gesinnung gegeben.

Es mag sein, daß der Fortschritt der Republikaner, der Liberalen, der Monarchisten, des MSI nicht genügt, den Rückschritt der Christlichdemokraten zu er- ■ klären? Vielleicht spielt noch ein Faktor mit, den der Parteisekretär Guido Gonella als die „natürliche Abnützung“ definiert, dem jede an der Regierung befindliche Partei unterworfen ist, weil sie niemals imstande sein kann, den Enthusiasmus des Wahltages auf die Dauer lebendig zu erhalten.

Einen merkwürdigen Aspekt eröffnet der Bodengewinn, den der neufaschistische MSI verbuchen kann. Absolut betrachtet ist diese Partei zwar immer noch eine unbeachtliche Minderheit — sie erhielt in 26 Provinzen Norditaliens 337.000 Stimmen oder vier v. H. — aber das Vorrücken wird sich noch mehr bemerkbar machen, wenn im Süden Italiens gewählt wird. Man rechnet damit, daß sie in Sizilien nach den Christlichdemokraten die stärkste Partei werden. Es ergibt sich dann die groteske Situation, daß im auto-nomistischen Regionalrat Siziliens rund zwanzig Anhänger des kompromißlosen Einheitsstaates sitzen könnten.

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