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Sturm um Gibraltar

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Spaniens letzte Sommertage künden nicht nur mit meteorologischen, sondern auch mit politischen Stürmen den nahen und bewegten Herbst an. Um Gibraltar, das seit über 200 Jahren Streitobjekt zwischen London und Madrid ist, hat sich sowohl in der spanischen Innen- wie auch Außenpolitik ein gehöriger Wirbelwind erhoben. Verstärkt wird er durch den von den Vereinten Nationen festgesetzten Termin für die Entkolonialisierung der Felsenfestung, den 1. Oktober, und die von spanischer wie auch britischer Seite hierzu getroffenen Vorbereitungen.

Empörung über „Provinz Gibraltar”

Spaniens Regierung befaßt sich seit geraumer Zeit mit dem Projekt einer „Provinz Gibraltar”, deren Mittelpunkt der heiß begehrte Felsen und — wie erst kürzlich bekannt wurde — deren Restgebiet aus Teilen der Provinzen Malaga und Cadiz zusammengestellt werden soll. Mit Malaga würden einige der besten Ferienorte abgeknabbert. Doch diese Provinz ist durch den Tourismus reich geworden und könnte diesen Verlust verschmerzen. Anders dagegen steht es mit Cadiz: Ihr, einer der unterentwickeltesten Provinzen Spaniens, soll ausgerechnet der industrialisierte Teil abgeschnitten werden.

Der Präsident des Provinziallandtags von Cadiz, ein seit zwei Jahren bewährter und beliebter Falangist, war über diesen drohenden Regierungsbescheid empört. Der Zivilgouverneur der Provinz sah darin einen Fall von Gehorsamsverweigerung und entließ den Landtagspräsidenten aus Amt und Würden. Statt des sonst üblichen Kadavergehorsams der politischen und Verwaltungsangestellten und Funktionäre folgte nun aber eine Protest- und Rücktrittswelle, durch die sich der Zivilgouverneur gezwungen sah, eine grammatikalische Neuregelung in Spaniens politischem Sprachgebrauch einzuführen, nämlich das bisher bei Führungskräften stets passiv angewendete Verb „zurücktreten” aktiv zu gebrauchen. Sein Nachfolger ist bereits vereidigt worden. Anders verhält es sich bei der Neubesetzung der Landtagspräsidentschaft. Der von der Regierung Designierte verzichtete auf die Ehre.

Englischer Flottenaufmarsch

„Pueblo”, Spaniens größte und gewerkschaftseigene Abendzeitung, zollte ihm Beifall und erhob die Forderung, Gesetzesänderungen durchzuführen, um die Entwicklung des neuen politischen Bewußtseins, das in Spanien au erwachen beginnt, nicht zu hemmen. Das heißt also in anderen Worten, Entscheidungs- und Meinungsfreiheit wenigstens auf provinzialer Ebene zu geben.

Doch nicht genug mit diesem Ärger für Madrid: Neun britische Kriegsschiffe werden nach und nach in Gibraltar just zu der Zeit vor Anker gehen, die die Vereinten Nationen als Termin für die Entkolonialisierung bestimmt haben. „Eine Herausforderung” schreibt Madrids Presse und „groteske militärische Schau” (so der Madrider monarchistische „ABC”). Gewiß, Madrid hat sich nicht die geringsten Hoffnungen gemacht, daß sich Großbritannien entgegen dem Willen der Gibraltarenos dem UNO-Beschluß beugen würde, aber eine „kolonialistische” Machtentfaltung vor der eigenen Haustür ist doch peinlich. Die sonst so diskreten Briten, so meint man in Madrid, hätten stillschweigend über diesen Termin hinweggehen können.

Noch ein weiteres Problem im Zusammenhang mit Gibraltar wird dieser Tage wieder akut. Die ehemaligen spanischen Arbeiter, denen die Madrider Regierung durch die totale Blockade Gibraltars im Juli dieses Jahres die Beschäftigungsmöglichkeit auf britischem Gebiet entzog, wobei sie denjenigen, die in Spanien keine Arbeit fanden, den vollen Lohn auszahlte, werden ab Oktober weitere sechs Monate lang stempeln gehen dürfen, allerdings nur 25 Prozent mehr als die übrigen Arbeitslosen erhalten. Und nachher? Für die meisten wohl nur eine karge Rente.

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