Der Kalte Krieg begann in Warschau

Werbung
Werbung
Werbung

Der englische Historiker Norman Davies legt ein Standardwerk zum Warschauer Aufstand 1944 vor.

Historiker erzählen Geschichten mit Fußnoten. Dass die Historie keine trockene Angelegenheit sein muss, zeigte zuletzt Norman Davies, emeritierter Professor für Geschichte an der London University mit seinem 800-seitigen Werk über den "Warschauer Aufstand". Da Krieg die Fortführung von Politik mit anderen Mitteln ist, muss vorab auch eine Geschichte der diplomatischen Bemühungen erzählt werden. Im Fall Polens erfordert dies eine Horizontverschiebung weit ins Umland der Unwissenheit und eine Neubewertung des polnischen Widerstandes.

In Polen begann der Zweite Weltkrieg und für die Westmächte war dies die Nagelprobe. Das Beispiel sollte zeigen, dass Verträge oft nicht das Papier wert waren, auf das die Unterschriften gesetzt wurden. Davies Analyse zufolge hat in Polen aber auch der Kalte Krieg begonnen, noch lange bevor Hitlers Armee besiegt war: Mit der unterlassenen Hilfeleistung rund um den Warschauer Aufstand.

Die Unwissenheit über Polen regiert an verschiedenen Fronten, so passiert es nicht nur Laien, dass der Warschauer Aufstand und der verzweifelte Widerstand im Warschauer Ghetto verwechselt oder bloß als ein Kampf gesehen werden. Ein prominentes Opfer dieses Missverständnisses war der deutsche Bundespräsident Roman Herzog vor zehn Jahren und auch Nachrichtenagenturen wie Reuters erzählten damals der Welt eine falsche Geschichte.

In der Etappe lebt das Vergessen: Kein von Hitler überfallenes Land hatte so konsequent und in so hohem Ausmaß Widerstand gegen das NS-Regime geleistet. Trotz der militärischen Überlegenheit tat sich die Wehrmacht schwer, unmittelbar nach der Niederlage etablierte sich eine Exilregierung in London, tausende Polen kämpften in eigenen Einheiten in der Englischen Armee, polnische Piloten verteidigten London in den entscheidenden Tagen der Luftschlacht. Polen waren federführend auch bei der Landung in der Normandie beteiligt. Der polnische Widerstand im Land war nicht zu unterdrücken und illegale Druckschriften erreichten Auflagen, die in anderen Ländern undenkbar schienen.

Der Warschauer Aufstand wurde zu einem Zeitpunkt am 1. August 1944 ausgelöst, als die sowjetische Armee unmittelbar vor den Toren der Hauptstadt stand. Doch Stalin hatte zuvor nicht nur die polnischen Militärs bei Katyn ermorden lassen, sondern auch die Kommunistische Partei aufgelöst. Eine Befreiung der polnischen Hauptstadt durch den Widerstand passte nicht in sein Konzept der Interessenssphären. Der Wunsch, die Allianz nicht zu gefährden, war ausschlaggebend für das Desinteresse und das Zuwarten der Alliierten. Spät aber doch entschied sich Churchill für eine Luftversorgung der Kämpfer von Warschau via Italien. Überdurchschnittlich hoch waren die Verluste an Flugzeugen. Die Sowjets zogen sich mit ihren Truppen zurück und verweigerten englischen Flugzeugen die Landung. Mit dem Nachgeben der Engländer und Amerikaner in der Frage der Unterstützung der Kämpfer von Warschau begann der Kalte Krieg und der langwierige Prozess der Uminterpretation. Kein guter Boden für die Wahrheit, die Davies nun in seinen minutiösen Schilderungen neu formt. Er porträtiert die Kämpfenden und zitiert aus einer Fülle von Augenzeugenberichten und Dokumenten, doch immer auch mit einem analytischen Blick.

In seiner Parteinahme für die Polen verlässt Davies nur in einem Punkt die durch Analyse abgesicherte Festung. Mit seiner Bewertung des Antisemitismus, den er in Polen als nicht so beherrschend einstuft, schwenkt er die parteiliche Fahne der Entschuldigung. Ein Wermutstropfen in dieser Historie.

Aufstand der Verlorenen

Der Kampf um Warschau 1944

Von Norman Davies

Droemer Verlag, München 2004

816 Seiten, geb., Euro 30,80

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung