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Der „letzte deutsche Klassiker”

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Verlag und Herausgeber haben sich, als sie diese zweibändige Dünndruckausgabe projektierten, eine fast unlösbare Aufgabe gestellt. Das gesammelte Werk Hauptmanns umfaßt (in der Ausgabe letzter Hand) 17 Bände, in denen sich nur wenig Fragmentarisches und zu Bagatellisierendes findet (hierin dem Goetheschen nicht unähnlich). Eine volkstümliche Auswahl wird vor allem die „berühmten” Werke vollzählig und vollständig bringen — und daher zwangsläufig auf viel Hochinteressantes verzichten müssen, das der dichterischen Gestalt erst alle Farben und Dimensionen verleiht. Wie also hat der Verlag diese schwierige Aufgabe gelöst?

Der 1. Band enthält: eine Uebersichtstabelle „Leben und Werk”, einen Bilderteil (von 1862 bis 1918), Berichte, Gespräche und Dokumente, Selbstdarstellungen und die folgenden Dramen: Vor Sonnenaufgang, Die Weber, Der Biberpelz, Hanneies Himmelfahrt, Florian Geyer, Die versunkene Glocke, Fuhrmann Henschel, Schluck und lau, Michael Kramer, Der arme Heinrich, Rose Bernd. Und Pippa tanzt. Die Ratten, Der Bogen des Odysseus, Vor Sonnenuntergang. Ferner einige theoretische Schriften und ein kleines Wörterbuch des Schlesischen.

Der 2. Band umfaßt: Prosa, Epik, einige Spätwerke, sowie Fragmente, und zwar: Bahnwärter Thiel, Der Apostel, Der Ketzer von Soana, Die Spitzhacke, Das Meerwunder, Der Narr in Christo Emmanuel Quint, Die Insel der Großen Mutter, Till Eulenspiegel, Der große Traum, Gedichte, Sprüche und Aphorismen, Magnus Garbe, Indiphodi, Iphigenie in Delphi, Das Hirtenlied und Der neue Christophorus: schließlich Inhaltsangaben der nicht aufgenommenen Werke, ein Verzeichnis der wichtigsten Literatur über Gerhart Hauptmann und die zweite Hälfte des Bilderteiles. Drei Werke wurden gekürzt und vermittels verbindender Inhaltsangaben „leichter lesbar gemacht”. Das sollte freilich nicht mit Sätzen geschehen, wie man sie etwa in der Zusammenfassung des 29. Kapitels von „Der Narr in Christ” lesen muß: „Während Quint mit Dominik und den Mädchen voran, die andern hinterdrein, übers Feld schreitet, sammelt sich eine empörte Menge vor dem Grünen Baum. Man suchte den Mörder. Umwendend sieht der Narr, den Dominik jetzt von dem Mord und seinen Befürchtungen unterrichtet hatte …” usw.

Auch sonst gibt es einige sachliche und sprach-’ liehe Schiefheiten in diesen beiden Bänden. So zum Beispiel erscheint Gerhard Stenzel als „Herausgeber und Verfasser” — doch wohl nur der Kommentare und Inhaltsangaben (und nicht der Hauptmann- Werke!). Dann die Definitionen in der Einleitung: Hauptmann — der Naturalist, der Romantiker, der letzte Klassiker. Was soll das alles? Das sind kaum mehr verwendbare Begriffe, die man nicht etwa durch neue, sondern durch tiefergehende Analyse und Erfassung des Phänomens G. H. ersetzen sollte. Hauptmann war kein „Olympier”, sondern ein an sich und der Welt Leidender. Richtig. Aber, Goethe zitierend, schreibt der Herausgeber „Himmelhoch jauchzend und zum Tode betrübt”. Das ist wieder falsch, denn das „und” stammt nicht von Goethe.

Von solchen kleinen und größeren Schönheitsfehlern abgesehen, die nur zum Teil durch die Auswahl und die radikalen Kürzungen bedingt sind, bringt diese Ausgabe dem Hauptmann-Freund viel Interessantes und Erfreuliches, nicht zuletzt einen reichhaltigen Bilderteil. Im 2. Band findet sich unter anderem auch jenes gespenstische Bild des greisen, bereits vom Tod gezeichneten Dichters- im Gespräch mit dem russischen Major Sokolow auf dem Wiesenstein.

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