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Terpsychore in Bregenz

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Die Bregenzer Festspiele 1969 standen vor allem im Zeichen des Tanzes: Es war das Nationaltheater Prag, das seine jüngste Entwicklung, die an älteste Vorbilder anknüpft dem westlichen Publikum vermittelt Es begann mit den „Sylphiden" von Chopin, Zugeständnis an die Liebhaber klassischen Tanzes, Einleitung zugleich dessen, was an neuem kommen sollte: „Die Geliebte der sieben Räuber“ von Milos Vaček ist eine dramatisierte Räuberstory vom überfallenen Kloster und der „Liqui dierung“ der Banditen durch ein Abteilung Soldaten. Vaöek hat in die primitive Handlung viel Ausdruck gelegt. „Star“ in dem Spiel ist das „Wunderkind von der Moldau“, Marta Drottnerova, eine Persönlichkeit von faszinierender tänzerischer Ausstrahlung.

Den Abschluß des Balletts im Theater brachte William Bukovys, des Frühvollendeten, „Das Gewissen“. Bukovy versucht, der Gewissensqual des Fliegers, der auf Befehl die Atombombe warf, in Ton und Figur zu kleiden. Zum erstenmal wurde Bregenz mit konkreter Musik konfrontiert. Tänzerisch erinnerte die über das Menschliche hinauswachsende Dämonie des Themas an die — in Kunstform immer noch unerreichten — Tanzspiele der Primitiven, welche alles, was sie in Worten nicht ausdrücken können, in Schritt und Gebärde legen. Die Aussage des „Gewissens“ (Olga Skalova), des Fliegers (Karl Vrtiska) und vor allem der „Atombombe“ (Ludmilla Houd- Ikova) war eine .flammende Ąnklage gegen den, Wahnsinn des . Krieges und der Vernichtung.

Auf der Seebühne genügen wenige Handgriffe und das Strandhotel am Bodensee verwandelt sich in einen venezianischen Palazzo oder Othellos Hauptquartier auf Zypern.

Wieder feierte im „OthelloH die Tanzkunst der Prager Triumphe. Jan Hanns hat es schon vor einem Jahrzehnt übernommen, Shakespeares Drama der Eifersucht ins Tänzerische umzuformen, wobei im sechsten Bild, der Intrige um Desdemonas Schleier, das Trauerspiel geschickt erweitert wird: Liebe, Eifersucht und zuletzt ausweglose Reue, die ganze Steigerung menschlicher Gefühle erlebt im getanzten Drama eine erschütternde Vollendung. Dazu kommen am nächtlichen Bodensee die raffiniert eingesetzten Beleuchtungseffekte, abschließend die Stimmung der Landschaft.

Und neuerlich ist es Olga Skalova, deren Grazie den Zuschauer in den Bann schlägt. Jaromir Petrik als Othello verfügte gleichfalls über ein breit gespanntes Register des Ausdrucks.

Das Theater schloß mit „Glasmenagerie", die Tennessee Williams’ Ruhm begründete.

Käthe Gold ist die hysterische Mutter, wie sie in Tausenden Exemplaren damals in den Staaten umhergelaufen sein dürfte, die Verzweiflungsausbrüche ihres Sohnes (Michael Heltau) wirken lebensecht, Lotte Marquardt erschüttert als hoffnungsloses junges Mädchen, Desgleichen ist Joachim Ansorge als der erhoffte und dabei völlig verunglückte Retter eine Figur aus einem Guß.

Und die Jubiläumsfestspieüe 1970? ... Sie beginnen mit Beethoven, dessen sämtliche Symphonien sowie die Missa solemnis unter Josef Krips aufgeführt werden.

Den nächtlichen Bodensee wird die „Fledermaus" beherrschen, das Burgtheater bringt „Minna von Barrüielm“; als Festoper wurde Bellinis „Norma" gewählt.

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