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Ein Boom am Ende

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Trübe Zeiten herrschen in der Bauwirtschaft nach den Jahren eines beispiellosen Booms zwischen 1970 und 1973. Wo man auch hinsieht, überall sind die Zeichen nach unten gerichtet. Nach den neuesteri Erhebungen der Bundesinnung der Baugewerbe sind in den einzelnen Bundesländern und Bezirken die Bauaufträge gegenüber dem Vorjahr bis zu 40 Prozent zurückgegangen. In Salzburg beträgt die Reduktion der Aufträge im Tiefbau sogar 43 Prozent. Die Mehrzahl der Baufirmen ist nur noch zwei bis drei Monate beschäftigt, was bedeutet, daß schon in nächster Zeit auch für hochqualifizierte Arbeitskräfte keine Beschäftigung mehr vorhanden sein wird. Viele Maschinen und Geräte liegen brach, die Zahl der Insolvenzen ist gegenüber dem ersten Vorjahresquartal auf das Doppelte gestiegen.

In Österreich ist die Bauwirtschaft die Schlüsselindustrie par excellence: rund 270.000 Erwerbstätige, also ein Viertel aller in Industrie und Gewerbe Beschäftigten oder ein Zehntel aller unselbständig Erwerbstätigen, beziehen ihr Einkommen aus der Bauindustrie. Dazu kommt, daß die konjunkturelle Entwicklung der Bauwirtschaft der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung um eine kleine Weile vorauseilt. Überdies sind infolge der langen Planungs-, Finan-zierungs- und Produktionsdauer die konjunkturellen Erholungsphasen der Bauwirtschaft besonders lang. Etwa drei Jahre hat es gedauert, bis die für die Bauwirtschaft verhältnismäßig glimpfliche Rezessionsphase 1966/67 überwunden worden war.Hält nun die Talfahrt der Bauwirtschaft an, womit angesichts der einschneidenden Restriktionsmaßnahmen auf dem Bau- und Kreditsektor zu rechnen ist (und wozu auch die extreme Verknappung von Baustahl beitragen wird), dann, so meinen Optimisten, wird sich für die österreichische Bauwirtschaft der Horizont erst am Kulminationspunkt der nächsten Konjunkturwelle — vielleicht 1979 — wieder etwas lichten. Wer das voraussagt, baut vor allem auf die längerfristig unaufschiebbaren Infrastrukturprojekte der öffentlichen Hände. Skeptiker sehen eine nennenswerte Belebung sogar erst am Beginn des nächsten Jahrzehnts — Aufhebung des Restriktionskurses hin oder her — voraus.

Die Erklärung für diese pessimistische Beurteilung der näheren und weiteren Zukunft liegt beim Wohnungsbau: Große Bauträger sind heute nicht mehr in der Lage, die notwendigen Kapitalmarktmittel zü“ beschaffen, öffentliche Mittel liegen ungenützt bei den Ländern, überdies dürfte in den nächsten Jahren auch die private Nachfrage zu stagnieren beginnen.

Folgt man den Erfahrungen großer Baustoffuntemehmen in Österreich mit der Rezession 1966/67, so dürfte die Bauwirtschaft diesmal mindestens zwölf Jahre brauchen, um teilweise schon aktuelle, teilweise noch drohende Rückschläge überwinden zu können. Das aber könnte sich für manche Unternehmen dieser Branche noch als zu optimistisch erweisen.

In der Rezession 1966/67 war es viel leichter, Rückschläge gutzumachen. Der Baumarkt steigerte sich in einen Boom, der so schnell nicht wieder erwartet werden kann. Heute wird in weiten Teilen der Bauwirtschaft die Annahme über die künftige Konjunktur und die derzeitigen Strukturveränderungen vertreten, daß'eine Anpassung der Bauproduktion auf ein gegenüber 1972/73 um etwa 20 Prozent niedrigeres Niveau möglich ist.

In der Bauwirtschaft gab es in der Rezession 1966/67 noch Rationalisierungsreserven; die Belegschaften konnten abgebaut werden; die Gewerkschaften zeigten durch maßvolle KolLektiwertragsabschlüsse noch Einsicht. Der Personalaufwand konnte dadurch absolut reduziert werden; gleichzeitig war es möglich, den Aufwand für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe einschließlich Energie überproportional zu vermindern.

Diese Zeiten sind vorbei: Rationalisierungsreserven im Energie-und Personalbereich hat die Bauwirtschaft heute nur mehr wenige. Die Personal- und übrigen Kosten steigen indes weiterhin steil an: so expandierten in letzter Zeit in der österreichischen Bauwirtschaft die Baustoffpreise erstmals stärker als der Lohn.

Welche Anforderungen in dieser Situation an die Unternehmen gestellt werden, vor allem an jene, die sich daran gewöhnt haben, laufend mit hohen Zuwachsraten zu rechnen, läßt sich leicht ermessen. Die düstere Zukunft durchzustehen, stellt die Frage für viele Bauunternehmen, wie man die Kapazität der rückläufigen Nachfrage anpaßt, ohne in die roten Zahlen zu geraten.

Für die Bundesregierung aber sollte endlich der Augenblick gekommen sein, den geförderten Wohnbau auf eine neue Basis zu stellen, den Finanzierungsschlüssel zu ändern und die Kreditrestriktionen im Wohnbau aufzuheben. Briefe dieses Inhalts richtete die Bundesinnung der Baugewerbe vor wenigen Tagen an Finanzminister Androsch und an Bautenminister Moser. Darin werden darüber hinaus Notstandsmaßnahmen gefordert.

Es wird nicht wenige geben, die im Rückblick auf eigene* Erfahrungen im letzten Bauboom schadenfroh meinen, es geschehe der Bauwirtschaft schon recht, wenn sie heute in Talfahrt rast. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge ist ein solches Denken naiv: Bleiben in der Bauwirtschaft die Zuwachsraten aus oder kommt es, wie jetzt eben, gar zu einer Stagnation, so ist die konjunkturelle Entwicklung gefährdet, denn die Nöte der Bauwirtschaft strahlen auf die gesamte Wirtschaft aus.

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