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Umkehr von der Expansion?

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Bundeskanzler Kreisky schlägt nicht nur Wellen im. Wörthersee, sondern auch in der Politik: sich gemütlich in der Hollywood-Schaukel räkelnd und leichthin mit Reportern plaudernd, entfacht er von seinem spätsammerlichen Urlaubs-tusculum aus einen Sturm in Österreichs wirtschaftspolitischem Wasserglas.

Freilich, was sich am Strand der Kärtner Riviera so einfach ausnimmt, wird der rauhe politische Alltag In harten Interessenkämpfen noch tüchtig zerzausen. Ob die guten Vorsätze des Bundeskanzlers, die er auf Grund von Ferienmeditationen gefaßt hat, diesem Ansturm werden standhalten können oder sich schließlich In publikumswirksamer Augenauswischerei verflüchtigen werden, bleibt abzuwarten.

Der Kanzler kündigte in seiner bekannt behutsamen Weise bloß an, er werde Gespräche zwischen der Regierung und der Bauwirtschaft darüber herbeiführen, wie die steigenden Baukosten einzudämmen seien. Es sei undenkbar, daß alle Summen, die der Staat für die Errichtung von Gebäuden und Straßen mehr aufwende, von den steigenden Baupreisen verschlungen werden. Der Bund werde eben mit seinen Aufträgen viel vorsichtiger sein müssen als bisher.

1 Schon anläßlich der Budgetdebatte im Vorjahr haben Wirtschaftsfachleute darauf hingewiesen, daß angesichts der völligen Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft und des würgenden Mangels an Arbeitskräften, der eine Kapazitätsausweitung, wenn überhaupt, nur in ganz engen Grenzen erlaubt, zusätzliche Budgetmittel nicht zu größerer Bauleistung, sondern nur zu höheren Baupreisen führen können. Genau das ist eingetroffen und ärgert mit Recht den Bundeskanzler.

Sofort ertönt es aus den dicht geschlossenen Reihen der Bauwirtschaft und der Bauarbeitergewerkschaft, der mehr oder minder gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften und sonstiger Interessenten unisono, ein „Baustop“ käme gar nicht in Frage. Den hat Kreisky auch gar nicht angekündigt; aber die Parteien und Interessenorganisationen sind mit Worten wie „Stop“ und „Demontage“ eben schnell bei der Hand. Einige Vertreter der Opposition ließen es sich nicht nehmen, in den allgemeinen Chor der Entrüstung just über jene Äußerung einzustimmen, die Zyniker als die ersten wirtschaftspolitisch vernünftigen Worte des Kanzlers bezeichnen.

Einen Baustop verhängen, auch nur punktuell (generell wäre er ohnehin nicht möglich), hieße das Kind mit dem Bad ausgießen. In direkter Ingerenz der Regierung befinden sich ohnehin nur die Amtsgebäude und die Schulbauten. Dagegen werden der Wohnbau und der Straßenbau mit zweckgebundenen Mitteln finanziert, was bedeutet, daß eine Stillegung dieser Gelder nicht möglich ist. Allerdings ist eine Zurückhaltung bei der Vergabe und ein Hinausschieben gewisser Projekte gesetzlich durchaus gedeckt.

Inwieweit aber die Baubremse noch heuer wirksam werden kann, ist schwer zu sagen. Es hätte wenig Sinn, im Gang befindliche Bauarbeiten plötzlich einzustellen und dabei noch den Weg des politisch geringsten Widerstandes ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der Bauunternehmen im konkreten Fall zu gehen. Worauf es ankommen wird, ist eine Erstreckung der Fertigstellungstermine, die die übliche Überhitzung des Baugeschehens im Herbst vermeidet.

Das schwierigste Problem sind aber die Investitionen der Gebietskörperschaften, denn auch die Länder und vor allem die Gemeinden treten in sehr massiver Weise als Bauherren auf und tragen — unbeschadet des ständigen Lamentos üb“er Finanznöte — das ihre zur Überhitzung des Baumarktes bei. Sie agieren völlig selbständig und können sich über Restriktionsbeschlüsse der Bundesregierung in den meisten Fällen glatt hinwegsetzen.

Der größte Bauherr unter den Gebietskörperschaften, die Gemeinde Wien, hat schon vor längerer Zeit stolz kund und zu wissen getan, daß sie sich auch durch Arbeitskräfteknappheit und Preisentwicklung nicht an der Durchführung ihrer Bauvorhaben hindern lassen werde. Ob ein Machtwort des Kanzlers an solchen Intentionen etwas wird ändern können, wird sich erst weisen.

Die ganzen Komplikationen sind ja überhaupt zum Großteil auf die mangelnde kurz- und langfristige Koordinierung der Bautätigkeit der öffentlichen Hände und Dienststellen zurückzuführen, denn dadurch kommt es zu einer unregelmäßigen und daher unrationellen Auslastung der Bauwirtschaft. Gerade die schlechte Koordination ist einer der Hauptgründe der Überhitzungser-scheinungen.

Diese Aufgabe ist nun schon seit fast zwei Jahrzehnten akut, ohne daß man hier sehr viel weiter gekommen wäre. Der frühere Bautenminister Kotzina hatte sich zwar dieses Problems besonders angenommen und Vorarbeiten geleistet; seither ist es aber wieder ziemlich still darum geworden, da nunmehr nicht mehr die Steigerung der Effizienz, sondern offenbar die „Gesellschaftsänderung“ im Bautenministerium groß geschrieben wird und daher so unausgereifte Entwürfe wie das Assanierungs- und Bodenbeschaffungsgesetz forciert werden. Allerdings wird sich die Koordinierung wahrscheinlich nicht allein auf administrativem Weg bewerkstelligen lassen, sondern gesetzliche Regelungen brauchen — was kein Hinderungsgrund sein müßte, sie energisch in Angriff zu nehmen.

Sprechen wir es offen aus: auch der Wohnbau kann von einer Drosselung der Bautätigkeit nicht ausgenommen werden. Daß das Versprechen der Sozialisten vor der Wahl, 5000 Wohnungen im Jahr mehr zu bauen, pure Demagogie war, pfiffen die Spatzen, freilich ungehört, schon damals vom Dach.

Die guten Vorsätze des Kanzlers, die er am Wörthersee gefaßt hat, werden nicht ganz leicht zu realisieren sein. Denn wenn sie Doktor Kreisky selbst ernst nimmt, bedeuten sie eine Wende in der Wirtschaftspolitik, ein scharfes Abdrehen vom rücksichtslos expansionistischen Kurs.

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