6837599-1975_24_04.jpg
Digital In Arbeit

Inflationspeitsche am Bau

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bauwdrtschaft — so kann man heute immer wieder hören — befinde sich in einer Krise. Das Beschäftigungsvolumen und der Auftragstand gehen zurück. Im neuesten Bericht des “Wirtschaftsforschungsinstituts heißt es: „Am relativ stärksten stieg die Arbeitslosigkeit unter den Bauarbeitern und verwandten Berufen.“

Wäre also eine gezielte Aktion zugunsten der Bauwirtschaft fällig? Schließlich geht es nicht nur um die Arbeitsplätze von zirka 137.000 Bauarbeitern (zirka 5 Prozent der österreichischen Gesamtbeschäftigung), sondern auch um diejenige in den Bauhilfsgewerben und in der Baustoffindustrie. Insgesamt sind mindestens 10 Prozent der österreichischen Arbeitskräfte direkt oder indirekt von der Bauwirtschaft abhängig.

Aber wie soll geholfen werden und wer soll helfen? Die Ratlosigkeit der offiziellen Stellen kommt in den kontradiktorischen Maßnahmen zum Ausdruck. Auf der einen Seite werden noch zahlreiche Kreditrestriktionen — speziell auf dem Sektor der Bauspardarlehen — aufrechterhalten, auf der anderen Seite werden im Zuge der Konjunkturaktivierungsmaßnahmen Gelder nicht zuletzt in die Bauwirtschaft gepumpt. Gasgeben und bremsen

gleichzeitig — wie soll das gutgehen?

Aber die Widersprüche in den Regierungsmaßnahmen reflektieren nur die Widersprüche in dieser Branche selbst. Sieht man sich freilich die Produktionsentwicklung in der Bauwirtschaft längerfristig an, ist von einer Krise wenig zu bemerken. Das Bauvolumen stieg von 42 Milliarden Schilling im Jahr 1968 auf 118 Milliarden Schilling 1974 an, das bedeutet in sechs Jahren nahezu eine Verdreifachung. Für 1975 ist ein neuerlicher Anstieg auf 121 Milliarden Schilling vorgesehen. Ob er allerdings erreicht werden wird, ist nicht abzusehen, da in den letzten Jahren die industrielle Bautätigkeit einen steigenden Anteil am Bauvolumen zu verzeichnen hatte, die konjunkturbedingte Investitionsschwäche auf diesem Sektor aber größer als> prognostiziert ist.

Im Jahr 1974 — von der Bauwirtschaft allgemein als Krisenjahr bezeichnet — hat der Bruttoproduktionswert immerhin noch um 15,4 Prozent zugenommen, allerdings nur nominell. Real machte die Zuwachsrate nur noch 2 Prozent aus und lag damit weit unter dem langjährigen Durchschnitt, blieb aber auch gegenüber der gesamten wirtschaftlichen Expansion im Vorjahr zurück.

Und hier stoßen wir auf das eigentliche Problem: Mit einer Preissteigerungsrate für den Wohn- und Siedlungsbau von 13,5 Prozent im Jahr 1974 lag die Bauwirtschaft sehr deutlich über dem generellen Inflationsniveau. Daß diese Preissteigerung um ein Drittel niedriger war als diejenige von 1973, ist ein schwacher Trost, da ja die damalige Teuerungsrate besonders exzessiv war. Fest steht, daß die i Bauwirtschaft einen besonders massiven Beitrag zur Inflation leistet.

Pumpte nun die öffentliche Hand zusätzliche Mittel in die Bauwirtschaft, so würde dies nur — wie frühere Erfahrungen beweisen — den Preisauftrieb in dieser Branche beschleunigen, aber relativ wenig zur Expansion des realen Bauvolumens beitragen. Die Schuld an dieser Entwicklung teilen sich Bauunternehmer und Gewerkschaft brüderlich, welche beide die Marktsituation restlos ausnützten. Ja, die Gewerkschaft läßt sich nicht einmal von der aktuellen prekären Auftragslage beeindrucken und drückte auch in diesem Jahr wieder eine Lohnerhöhung von 13 Prozent durch — was unter Einrechnung der Arbeitszeitverkürzung zu Jahresbeginn eine Stundenlohnsteigerung von zirka 18,5 Prozent ergibt. Und das in einer Zeit mangelnder Finanzie-

rungsmittel und ohnehin schon unerschwinglicher Baupreise!

Unter solchen Umständen muß das Bauvolumen knapp gehalten werden, um wenigstens auf die Kalkulation der Unternehmer einen Druck auszuüben — was allerdings die Lohnkostensteigerung nicht ausgleichen, sondern höchstens etwas mildern kann. Und auch das gilt nur für die Neuvergabe von Bauaufträgen, da bei den laufenden Aufträgen eine spezielle Ö-Norm den Bauunternehmern die volle Überwälzung der gestiegenen Lohnkosten garantiert.

Diese Ö-Norm trägt zweifellos dazu bei, daß die Bauwirtschaft gegenüber Lohnforderungen besonders nachgiebig ist. Zahlen müssen ohnehin die Auftraggeber, die zu den Lohnverhandlungen gar nicht zugezogen sind. So kommt es, daß die Baulöhne dem allgemeinen Lohnniveau deutlich vorauseilen. Während nämlich die gesamten Arbeiter-Nettotariflöhne seit 1945 auf das Fünfunddreißigfache gestiegen sind, erhöhten sich diejenigen der Bau-

arbeiter auf das Zweiundfünfzig-fache.

Dazu kommt, daß die ohnehin schon überverschuldete öffentliche Hand einen neuerlichen Finanzierungsstoß für die Bauwirtschaft nur mit zusätzlichen Krediten — primär aus dem Ausland — finanzieren könnte, was einen zusätzlichen Inflationsmotor darstellen würde. Es fragt sich darüber hinaus noch, ob dies überhaupt wünschenswert wäre. Die überhitzte Baukonjunktur der letzten Jahre ließ auf diesem Sektor Uberkapazitäten entstehen, deren Auslastung eine schwere Hypothek für die österreichische Wirtschaft darstellt.

Daran seien nicht sie schuld, argumentieren die Bauunternehmer. Sie hätten nur das getan, was die offizielle Wirtschaftspolitik von ihnen verlangt habe. Dies ist sicherlich richtig. Nur kann man das so entstandene Problem nicht dadurch lösen, daß man eine offensichtliche Fehlentwicklung fortsetzt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung