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Streiter wider den Zeitgeist

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Sechzig Lebensjahre in diesem Jahrhundert - das bedeutet eine bewegte Zeit Seine Gedichte geben darüber Auskunft. Geboren ist Michael Guttenbrunner am 7. September 1919 in Althofen, Kärnten. „In bäuerlichen Verhältnissen.” Kein großer Bauernhof war sein Vaterhaus, „er sah den blassen blutsverwandten Hunger bei seinen Eltern …” heißt es in dem Lyrikband „Die lange Zeit”. Roßknecht WEIT er in seiner Kindheit, Maurergehilfe in der Jugend, die ziemlich bald in den Zweiten Weltkrieg mündete.

Zwang, Gewalt, Macht waren ihm da schon verhaßt. Aus einem anderen Gedicht - 20. Juli 1944 - erfahrt man, daß er als Soldat wegen Auflehnung gegen Vorgesetzte dreimal vor dem Kriegsgericht stand. Kommt er in einem seiner vielen Vorträge vor Publikum und im Rundfunk oder in einem seiner mannigfachen Essays, Künstlerwürdigungen in den verschiedensten Literaturblättem des deutschen Raums auf die Jahre zwischen 1938 und 1944 zu sprechen (und er kommt oft), so benützt er dafür nicht die übliche historische Bezeichnung. Das Wort „Nationalsozialismus” ist seinem Vokabular fremd. Er kann nur vom „Nationalbestialis- mus” reden. Verbal rechnet er ab - ein Schriftsteller hat keine andere Wahl.

Erst nach dem Kreig findet er zum Gleichgesinnten in Auflehnung, Protest und rhetorischer Opposition: zu Karl Kraus. In seinen Werken lemt er ihn kennen, seine scharfen Angriffe auf Journalistik und Phrasenpolitik korrespondieren mit Guttenbrun- ners Wesen. Es ist, als ob die „Fackel” in Guttenbrunner weiterbrenne.

Die Literaturzeitschrift „Ziegeneuter”, die er vierteljährlich herausgibt, ist gegen die „sprachverhunzenden, seelenverderbenden Medien” gerichtet. Sie ist undekorativ, einfach wie die russische Untergrundzeitschrift „samisdat”. Genau wie diese, läßt „Ziegeneuter” jene zu Wort kommen, die zu den Vergessenen, einmal Verbotenen, Mißachteten zählten.

Vor allem ein Kraus’sches Postulat bestimmt Guttenbrunners Leben: Das von der Anti-Quantität. Nicht was der Mehrheit gefällt, ist wichtig, sondern die Vielfalt des Ganzen, die sich aus den Anliegen auch der kleinsten Gruppen ergibt.

Als Kärntner deutscher Gebürtig- keit gehörte er nie einer rassischen Minderheit an. Er ist weder Jude noch Slowene. Und doch lieh er leidenschaftlich jenen die Stimme, denen man sie entzog. In dem Gedicht „Der Kärntner Slowene” in der Sammlung „Der Abstieg” heißt es: „Ein zurückgebliebener Fisch, wo die Flut verrauscht und abgezogen ist, nur wenig Wasser mehr. Bald ausgetrocknet, erstickt, mit dem Rücken zur Wand der Karawanken, so steht er da.” Die Menge klagt er an, die der Andersartigkeit das Wasser abgräbt.

Neben der Liebe zu Karl Kraus ist für ihn die Freundschaft zu dem Armen- und Arbeiterdichter Theodor Kramer wesentlich, der in der Zwischenkriegszeit wie Josef Weinheber gefeiert war. Bis für ihn als Juden im Dritten Reich kein Platz mehr war. Guttenbrunner hat sich intensiv um die Rücksiedlung dieses zutiefst ostösterreichischen Poeten bemüht, die auch gelang. Bald danach, 1956, starb Kramer in Wien. An seinem Grab hat Guttenbrunner die Tochter Carl Zuckmayers kennengelemt, die seine Frau wurde.

Der Band „Gesang der Schiffe”, den der Claassen-Verlag für diesen Herbst ankündigt, verspricht Gedichte aus mehr als drei Jahrzehnten, aus denen Betroffenheit und trotzige Aggressivität, Hoffnung und Zorn spricht. Guttenbrunners Sprache ist vital, grob, oft sperrig - als meißelte er die Worte aus Stein. Michael Guttenbrunner ist ein Worte-Hauer im sprachgestalterischen Sinn.

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