Über Gott zu reden

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Gott in und nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zur Sprache zu bringen, war das Lebensanliegen von Erich Przywara.

Mein Interesse an Erich Przywara wurde durch seine dreibändige - und übrigens völlig unlesbare - Exerzitien-Theologie geweckt. Ich vermutete in ihr Ansätze zur Lösung des Problems zu finden, das mich als Theologin bewegte: Ansätze zur Überwindung des Schismas zwischen "Theologie und Heiligkeit" (Hans Urs von Balthasar) zu finden - gemeint war damit die Kluft zwischen einer methodisch-kritischen, aber mit dem Verdacht der "Erfahrungsarmut" behafteten systematischen Theologie einerseits und einer christlichen Frömmigkeit andererseits, die sich dem kritischen Nachdenken verweigert.

Die Hoffnung, dass die Auseinandersetzung mit dem Werk Erich Przywaras Impulse für gegenwärtiges theologisches Denken freisetzen könnte, verlockte mich, ihm meine Habilitationsschrift zu widmen und mich einem mühsamen und langwierigen Forschungvorhaben zu stellen: Przywaras hat mehr als 800 wissenschaftliche Abhandlungen, davon 50 zum Teil sehr umfangreiche Monographien verfasst. Und im Gegensatz zur imposanten Geschlossenheit seines Hauptwerks, der "Analogia entis" von 1932, gibt sich das Gesamtwerk Przywaras als "zerklüftet widerständiges Gebirg" - wie er selbst das Gesamt der biblischen Texte einmal charakterisierte. Es vollzieht sich in ständiger Auseinandersetzung mit der gesamten europäischen Denkgeschichte von "Heraklit bis Nietzsche", wie Karl Rahner konstatiert.

Mich interessierte zunehmend Przywara in seinem Beziehungsreichtum, in seiner Vielschichtigkeit und Sperrigkeit. Und mir ging immer mehr auf, wie sehr die Brüche in seinem Werk, die Brüche und Katastrophen des 20. Jahrhunderts widerspiegeln. Den Ertrag meiner Auseinandersetzung mit dem vergessenen Denker Erich Przywara versuche ich in folgenden gedrängten Thesen anzudeuten:

1. Gott zur Sprache bringen

Die ganz grundsätzliche Sprengkraft von Przywaras Werk liegt für mich in seiner theologischen Konzentration. Das eine und einzige Anliegen Przywaras ist: Gott zur Sprache zu bringen. Darum ringt er durch alle Schichten seines Werkes in immer neuen Anläufen. Dass er Gott kompromisslos in den Mittelpunkt stellt - und damit leidenschaftlicher gegen alles, was sich selbst absolut setzen will, protestiert, - erinnert an die alttestamentlichen Propheten. "Götzendämmerung" ist ein Wort, das sich durch das Spätwerk zieht. Diese "Entlarvung der Götzen" entspringt jedoch gewiss nicht Welt- und Menschenverachtung, sondern ist wie bei den Propheten ein Eifern für Gott um der Welt und der Menschen willen.

Nach den Katastrophen

2. "Analogia entis" - ein Widerstandswort gegen Versöhnungs- und Identitätsdenken

Wie setzt aber nun diese Gott-Rede Przywaras an? Meine These dazu: Przywara durchleidet in seinem Denkweg schmerzhaft, dass eine klassisch affirmative "Ontologie" oder "Metaphysik" spätestens mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts erledigt ist - dass damit aber auch eine Rede von Gott, die sich in einer Metaphysik als Beschwörung der "heilen Urgründe" oder der "Positivität des Seienden" begründen möchte, unglaubwürdig geworden ist. Alles Wirkliche ist dem Abgrund des Nichts entrissen und ständig bedroht, von ihm verschlungen zu werden.

Przywaras Zentralbegriff, den Begriff der "analogia entis" (der seit Thomas von Aquin in der abendländisch-christlichen Philosophie gebräuchlichen Formulierung, nach der alles Seiende in Analogie zu Gott steht), verstehe ich als das Ringen um die verantwortete Rede von Gott angesichts der auseinanderstrebenden Kräfte der Moderne: der irreversiblen Zerrissenheit eines einheitlichen Wirklichkeitshorizontes ebenso wie der in den konkreten geschichtlichen Katastrophen aufgebrochenen Zweispältigkeit von Vernunft und Humanität.

3. Aufgang des "Ganz Anderen" am Widerstand des "Anderen"

Der katholische Theologe Hans Urs von Balthasar stellt treffend fest, dass der reformierte Gottesgelehrte Karl Barth wohl der Zeitgenosse Przywaras ist, der "seinem eigenen Pathos am verwandtesten war". Vielleicht erklärt sich gerade daraus die Geschichte von Missverständnissen, die sich zwischen ihnen und unter Berufung auf sie abspielte. Das, was sie verbindet, ist der entschiedene Widerstand "gegen jede Form, unter welcher der Mensch, unfromm oder fromm, sich des lebendigen Gottes bemächtigt." In diesem Sinne teilen sie das Pathos Gottes als eines "Ganz Anderen".

Originell ist nun die Weise wie Przywara diesen "ganz anderen Gott" zur Sprache zu bringen sucht. Um es auf die aufs äußerste verkürzte Formel zu bringen: Am Widerstand der unvereinnahmbaren, je "anderen" konkreten Realität, am Widerstand des individuell-konkreten Personal-"Anderen" zerbricht jedes philosophisches Konstrukt. Und es bricht für den Menschen die Dimension auf, die jede "Gotteskonstruktion" sprengt, und in der der "lebendige und schreckliche Gott" sich selbst zur Sprache bringt. Gerade die Begegnung mit dem konkreten mitmenschlichen Anderen bedeutet gegenüber jeder Verwechslung Gottes mit den Projektionen und Sehnsüchten des religiösen Menschen deren je neue Zertrümmerung.

Dass der andere, der konkrete Mitmensch konstitutiv für die Rede von Gott ist, ist für Przywara in einer zweifachen Hinsicht zu präzisieren: Der Andere, das Du, wird nicht zuerst als die wohltuende Ergänzung des Ich begriffen - und in der Konsequenz dann Gott, das absolute Du, als die endgültige Erfüllung der Du-Bedürftigkeit des Menschen. Der Andere ist vielmehr nur wirklich als der Andere erfasst und anerkannt, wenn ich gerade durch seine schockierende Fremdheit aus meiner Geschlossenheit und meinen Gewissheiten herausgerissen werde.

Für Przywara ist die "Agape" - die Liebe, deren Ernstfall die Feindesliebe ist - das "einzige Organ für Gott".

Das Symbol der Nacht

4. "Karsamstag": durchlittene Gott-Leere der Geschichte

Eberhard Jüngel war es, der dem auf protestantischer Seite zäh festgehaltenen Missverständnis, die "analogia entis" Przywaras als "Griff nach Gott", als ein sich Bemächtigen Gottes von allem Geschaffenen her zu interpretieren, ein Ende gemacht hatte. Er erkennt in ihr die "Gralshüterin des Mysteriums", indem sie in aller Ähnlichkeit zum Geschaffenen die je größere Unähnlichkeit Gottes ansagt. An dieser Analogie wird Przywara aber gerade das zum Problem, dass sie die Nähe Gottes zum Menschen nicht zu denken vermag: "Ihr Stigma ist die zu keinem Ende kommende augustinische ,Unruhe zu Gott', ihr Symbol die Nacht."

Für Przywara ist der Karsamstag das Symbol des Christlichen schlechthin. Der späte Przywara wird nicht müde, im Protest gegen jede Form des "gnostischen Mystizismus" die Preisgegebenheit christlicher Existenz in einer unverklärt profanen Welt in immer neuen Bildern zum Ausdruck zu bringen. So ist er im Anklang an Nietzsches Wort von den Kirchen als "Grabmälern und Grüften Gottes" zur Aussage über Kirche fähig, dass es die "Ungläubigen" sind, die die "richtigen Instinkte" für ihr Wesen haben. Gegenüber jeder Illusion, dem lebendigen Gott feste Wohnungen bauen zu können, wissen sie um den "Grabcharakter der Kirche": sie ist "Denkmal der Katastrophe des Karsamstag".

Im scharfen Kontrast zu allem triumphalistischen Bewusstsein, Gegenwart Gottes in der Welt zu sein, trägt alle wahre kirchliche Repräsentation die "Witwenform", die sich selbst verfehlt, wo sie sich nicht in der Form des "Gott-Vermissens" vollzieht.

Die Autorin ist Professorin für katholische Fundamentaltheologie an der Universität Passau.

zur Person

"Der vielleicht letzte große Jesuit deutscher Zunge", so charakterisierte Furche-Chef Willy Lorenz in seinem Nachruf den am 28. September 1972 verstorbenen Erich Przywara (obwohl es damals auch einen Karl Rahner oder Oswald v. Nell-Breuning gab ...). Dennoch gehört der 1889 in Oberschlesien geborene Przywara zu den großen Theologen des 20. Jahrhunderts. 1922-41 war er Redakteur der Jesuitenzeitschrift Stimmen der Zeit in München, während des Kriegs Akademikerseelsorger in Wien, Berlin und München. Nach dem Krieg lebte Przywara in Bayern. Seine Vorträge und Aufsätze hatten in der Zwischenkriegszeit Furore gemacht und waren Frucht seiner Begegnungen mit Philosophen wie Max Scheler, Edmund Husserl, Edith Stein, dem jüdischen Vordenker Leo Baeck oder dem protestantischen Theologen Karl Barth u. a. Przywaras Hauptwerk ist seine 1932 erschienene "Analogoa entis". Die dunklen Spätwerke Przywaras nach dem Krieg gelten als erschütterndes Zeugnis der Gebrochenheit des 20. Jahrhunderts. ofri

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