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Offenbarung und Menschheitstradition

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Dies ist ein theologisches Werk und nicht, wie so oft, eine als Theologie verkleidete metaphysische Philosophie oder kritische Philologie. Sein ist daher die „allegorische” Sprache des Origenes, des größten griechischen Kenners der hebräischen Texte. Ausgehend von der Einsicht, daß die natürliche Mystik, der Uroffenbarung Spur, in allen Religionen dasselbe kündet, redet Przywaras Theologie in der Form des dramatischen Sanges (wie Origenes ausdrücklich lehrt) nach dem Vorbild des Hohen Liedes und in der Denkform der Dialektik. Somit wird diese, wie kaum sonst eine seit Sankt Bernhard, um das Corpus Christi mysticum gravitierende Theologie dennoch allen echten Religionen verständlich (freilich nicht den professoralen Ersatzreligionen). So tönt sie wie des Erhabenen Sang (Bhagavadgita), das Hohelied der Hindu. Lange bevor Aristoteles die Aussageweise der rationalen Begriffe ersann, erklang schon die Sprache der Opfer, der Sprüche, der Gebete, der mystischen Geheimnisse in den vier vedischen Büchern samt den Upanishaden. Przywara erweckt sie zu westlichem Leben. Zur Stunde, da sich untergehendes Abendland und aufgehendes Morgenland begegnen, wie der Sonnenlauf der Geschichte es nach Hegel, dem größten Denker trinitarischer Spekulation so will, da schreibt Erich Przywara die Theologie dieser Stunde. Verständlich wird das der Ur- weisheit Chinas; denn Weg, Wahrheit und Leben sucht schon das Tao Teh King, des Gesetzes Pfad weist der Buddha dhammapadam. Eben den Weg des Gesetzes geht wieder Erich Przywara mit den Propheten des Alten Bundes. Auch hier wird ihn wieder ganz verstehen, wer auf die jeweilige Höhenlage des spiralisch den Läuterungsberg ansteigenden Pfades Dantes achtgibt. Diesen Pfad geht man schon nach der Lehre Asiens, wie nach der Weisung Bernhards erst bedachtsam (cogitativ), dann besinnlich (meditativ), dann beschaulich (contemplativ) und schließlich emporgerissen wie auf Flügeln (exaltativ). „Er gibt den Schwachen Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler”, sagt es Luther, der Liebersetzer Bernhards, in der ekstatischen Sprache des Alten Bundes. Bedachtsam? Nun — Bedenken hatte das Abendland lange genug gegen das Alte Testament gehegt — an der Spitze Spinoza, in seiner Jugend eine Leuchte der Synagoge. Wort um Wort, Spruch um Spruch, Buch um Buch, Geheimnis um Geheimnis wurde die Schrift zerfasert und sie zerfiel unter den Händen der Professoren in jahwistische, elohi- stische, protojesajische und deuterojesajische Fetzen. Man hat sie als physikalisches und als zoologiches Kompendium zerrissen. Man fand und man umstritt geschichtliche Belege in haupt- und in nebensächlichen Versen. Man war so reich an bedenklich kritischem Verstand und quälte sich mit wieder- käuenden Hasen vergebens, ein Schiffstau durch ein Nadelöhr zu würgen. Die Gelehrsamkeit, emsig zu entmythologisieren, bemerkte nur nicht, daß zu dieser Stunde das Abendland nicht mehr mitmacht, nicht mehr zuhört, nicht mehr dabei ist (interest). Niemand interessiert sich mehr für die Konjekturtheologie. Wenn also Bedenken nicht mehr taugen, dann um so mehr Besinnung, die Suche nach dem Sinn (meditatio), nach dem wahrhaft Bedeutenden Im Sinne Goethes. In dieser Landschaft des Geistes finden und ordnen sich alle verklärten „Elemente”: der ekstatisch ins Jenseits hinüberleuchtende Aether des Isaias, die exaltative Feuerwolke des Ezechiel, das Pneuma (indisch das Atman), jener Wind, der weht, wo er will, in der Theologie des Zwölfprophetenbuchs das Salzwassermeer der vergossenen Tränen des Jeremias, die hesiodisch klingenden Erdreiche des Daniel. Somit ist also jene, von der Aengstlichkeit der jüngsten Vergangenheit allein gehütete hylisch- somatische Denkweise (mit den griechischen Vätern zu reden) aufgegeben zugunsten der psychischen Kontemplation und der pneumatisch allegorisch mit Feueramgen redenden originalen origenistischen Theologie, in deren Sinn allein Augustinus fähig war, das Alte Testament zu lesen, zu deuten, ja überhaupt erst zu ertragen. So wird Przywaras Buch eine Apokatastasis der alexandrinischen Deutung aus dem Geiste der Septuagintaeine Wiederbringung aller dieser Dinge. Diese vielen und großen Einsichten theologischen Stils atmen also den Geist der ersten und letzten großen und weitherzigen Begegnung zwischen Israel und Hellas, ehe der masore- tische Geist des antichristlichen Judentums alle Brücken abbrach. Sieht sich Israel 1945 als der immer geopferte und geschändete Erlöser der Menschheit, so erblickt Przywara voller Verständnis an dem Kreuz, daran das zerrissene Abendland hängt, das von Juden und von Europa verkannte Corpus Christi Mysticum.

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