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Der Harigast-Helm
Im Land des steirischen Weinfuhrmannes, dort, wo die Drau ihre Schotterebene zwischen dem weiten sonnigen Weinhöhenlande der Windischen Büheln (Slovenske gorice) und der Kollos (vom römischen colles = Hügel) hindurchzwängt, liegt Pettau (Ptuj), die geschichtlich bedeutendste Stadt Sloweniens. Kaum drei Wegstunden nördlich der Stadt, zunächst dem Weinbergkirchlein St. Benedikt in den Büheln, das als treuer Hüter edles Gut vor aller Unbill schützt, träumt auf einem der zahlreichen Hügel- rücken die Dorfsiedlung Schöniack (Seniak- berg). Dort fand man im Jahre 1812 unter einer Eiche über zwanzig vorgeschiditlidie Bronzehelme, die zum Teil durch Schwerthiebe beschädigt sind. Der Fundort gehörte damals zu der etwa acht Kilometer entfernten Herrschait Negau, weshalb die Helme auch heute noch in der wissenschaftlichen Literatur den nicht ganz zutreffenden Namen „Negauer Helme“ führen. Einer dieser Helme trägt auf der waagrechten Fläche der Krempe eingeritzt in nordetruskischen Zeichen die — sicher später hinzugefügte — berühmte Inschrift „harigasti teiva“. Die Inschrift läuft, ähnlich wie die ältesten griechischen und lateinischen Inschriften, von rechts nach links. Dieser
Helm, der sich ursprünglich im Landesmuseum Joanneum in Graz befand, kam später nach Wien, wo er heute eine Zierde des Kunsthistorischen Museums bildet, denn er ist, nach Eduard Beninger, das weitaus älteste bekannte germanische Sprachdenkmal und zugleich das älteste insdiriftliche Zeugnis für das Auftreten von Germanen in den südlichen Ostalpen.
Seit im Jahre 1927 der norwegische Sprachforscher Carl J. S. Marstrander die wichtige Entdeckung gemacht hat, daß diese Inschrift germanisch ist, haben sich Sprachforscher, Archäologen, Historiker und Germanisten begreiflich erweise immer mehr für die Inschrift auf dem Helme und ihre zeitlidie Stellung interessiert. Das Verdienst der ansprechendsten Deutung dieser Zeichen gebührt dem verdienten Germanisten Gustav Neckel, der den Sinn der Inschrift nW
„dem Gotte (teiva) Harigast (ergänze: gewidmet)“ wiedergibt. „Harigast“ =,,Heeresgast“ und bedeutet niemand anderen als Odin oder Wodan. Der Besitzer dieses Helmes weihte also diesen und damit auch sich selbst dem obersten Kriegsgotte der Germanen.
Während die Wissenschaft bisher annahm, daß die Negauer Helme ein altgermanisches Weihopfer der im Jahre 113 v. Chr. aus dem unteren Savegebiet gegen Noreia ziehenden Kimbern sind, neigen die neuesten Forschungsergebnisse dazu, die Inschrift des Fundes in eine weit ältere Zeit, in den Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. zu verlegen. Das würde besagen, daß schon vor den Kimbern Germanen durch die
Steiermark gezogen sind. Universitätsprofessor Dr. Balduin S a r i a sagt hiezu folgendes: „In der zweiten Hälfte des
3. Jahrhunderts v. Chr. waren die Kelten mit einem gewaltigen Heere in Mittelitalien eingedrungen, hatten aber bei Telamon in Etrurien eine schwere Niederlage erlitten. Die Bojer, die dem heutigen Böhmen den Namen gegeben haben, und andere Stämme wurden in die Ostalpen äbgedrängt. In Verbindung mit den Kelten waren damals die germanischen Gaesaten. Zwar berichten antike Quellen, daß sich die Germanen samt ihren Führern nach dem unglücklichen Ausgang der Schlacht in das Schwert gestürzt hätten, aber sicherlich sind Splitter dieses Volkes mit den Kelten in die Gebiete der südlichen Ostalpen abgezogen und in der Folge allmählich im Keltentum aufgegangen. Längs der Drau, von Pobersch bei Marburg bis Formin bei Pettau und weiter bis Pol- strau, sind keltische Funde gemacht worden, die von diesen Kelten herrühren, die vor allem in Formin längere Zeit geblieben sind. Schöniack liegt auf dem Wege nach dem Burgenland, in dem sich die Bojer vorübergehend niedergelassen hatten. Auch die nordetruskische Schrift ist jetzt leichter verständlich. Da die Gaesaten längere Zeit als Söldner der Keltenstämme in Oberitalien saßen, werden sie dort auch mit den Etruskern in Berührung gekommen sein und von ihnen die Schrift übernommen haben.“
Wie dem auch sei, der Harigast-Helm und seine Inschrift sind etwa vier, wenn nicht gar sechs Jahrhunderte älter als das früheste vordem bekannte germanische Sprachdnekmal, älter als das Goldene Horn von Gallchus. älter als Wulfilas gotische Bibelübersetzung (die ältesten bisher bekannten Runeninschriften stammen nicht vor dem angehenden 3. Jahrhundert nach Christi Geburt). Aber auch für die Frage der Herkunft des Runenalphabets ist dieser Fund aus slowenischem Boden von großer Bedeutung.
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