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Unfall ist nicht gleich Infall

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Zwei junge Menschen - Opfer eines Verkehrsunfalles - liegen nebenein-ander in einem Unfallkrankenhaus. Die Verletzungen sind schwer: Querschnittlähmung. Beide gewöhnen sich gerade an den Gedanken, ihr weiteres Leben im Rollstuhl ver- bringenzu müssen. Bei aller Tragik hat der eine noch „Glück im Unglück“. Er war für die Firma unterwegs, erlitt also einen „Arbeitsun- fall“. Der andere war auf dem Heimweg von einem Klassentreffen - ein „Freizeitunfall“ wird es heißen.

Warum diese Unterscheidung? Sie ist deshalb wichtig, weil die gesetzliche Unfallversicherung nur für sogenannte „Arbeitsunfälle“ (und Berufskrankheiten) zuständig ist. Freizeit- und Haushaltsunfälle sind hingegen Angelegenheit der Krankenkassen.

Diese Unterscheidung wird historisch erklärt: Die Unfallversicherung (1889) ist eine sehr frühe Einrichtung der österreichischen Sozialversicherung: Bis zu deren Einführung konnte ein Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall nur dann Schadenersatz erhalten, wenn er seinem Arbeitgeber schuldhaftes Verhalten nachweisen konnte. Diese Haftpflicht des einzelnen Unternehmers wurde durch die Pflichtversicherung aller Unternehmer abgelöst. Daher wird die Unfallversicherung nur von den Arbeitgebern bezahlt; derzeit geben sie dafür 1,3 - ab Jänner 1,4 — Prozent der Lohnsumme aus.

Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind neben der - durch die „Causa Poigenfürst“ so massiv ins Gerede gekommenen - Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) noch drei weitere Anstalten (siehe Grafik). Versichert sind die Dienstnehmer aller Berufszweige, aber auch bestimmte selb-ständig Erwerbstätige sowie Schüler und Studenten.

Die Auswirkungen der Unterscheidung „Berufs - und „Freizeit- unfall“ sind beachtlich:

Die beiden eingangs erwähnten Unfallopfer werden je nach Art und Schwere der Verletzung ins nächste Krankenhaus eingeliefert. Sie haben auch beide Anspruch nicht nur auf Behandlung, sondern auch die notwendige Rehabilitation. Die für die Arbeitsunfälle zuständige Unfallversicherung ist allerdings verpflichtet, die Wiederherstellung eines Verletzten „mit allen erdenklichen Mitteln“ durchzuführen. Bei der Krankenversicherung heißt es hingegen, die Rehabilitation muß „ausreichend und zweckmäßig“ sein.

Gravierender ist der Unterschied bei den Geldleistungen im Fall einer bleibenden Behinderung: Das Opfer eines Berufsunfalles kann mit einer (ausreichenden) Rente der Unfallversicherung rechnen. Das Freizeitunfallopfer mit einem Dauerschaden bekommt eine Leistung aus der Pensionsversicherung. Aber: der Anspruch auf eine Invaliditäts- oder Be-rufsunfähigkeitspension hängt nicht mehr mit der Ünfallursache zusammen. Der Grund für den Pensionsanspruch ist der Pensionsversicherung nämlich egal (Geburtsschaden, Schlaganfall, Krankheit oder eben Das bedeutet besonders für junge Menschen einen weiteren Schock: Sie haben naturgemäß wenige Versicherungsjahre für eine halbwegs ausreichende Pension; an finanziellen Schutz im Rahmen einer privaten Unfallversicherung hat man mit 20, 25 Jahren meist auch nicht gedacht (oder will dafür kein Geld ausgeben). Plötzlich steht so ein Unfallopfer unter Umständen vor dem fi-nanziellen Nichts, angewiesen auf die Hilfe der Angehörigen oder sogar fremder Menschen.

Unfall ist also nicht gleich Unfall. Aber nicht diese Ungleichbehandlung ist der Anlaß für den Wunsch der Koalition nach einer Freizeit- und Haushaltsunfallversicherung (siehe Seite 9). Dahinter steht ein anderes Problem: In den sehr gut ausgestatteten Unfallkrankenhäusern und Rehabilitationszentren der „reichen“ AUVA werden auch immer mehr „Freizeitunfälle“ mitbehandelt. Die aktuelle Statistik weist bei den rund 33.200 stationären Behandlungsfällen 5.700 „eigene“ und 27.500 „fremde“ Fälle aus (ambulant: ingesamt 254.800: davon 63.800 eigene und 191.000 fremde Fälle). In den Rehabilitationszentren waren es insgesamt 4.800, davon 2.500 „eigene1” und 2.300 „fremde“ Fälle, rechnet AUVA-Generaldirektor Wilhelm Thiel der FURCHE vor.

KEINE KOSTENWAHRHEIT

Was kosten diese Patienten, deren Behandlung durch die Unfallversicherung eigentlich gar nicht vorgesehen ist? Dazu Wilhelm Thiel: „Die Unfallkrankenhäuser der AUVA haben einen gesetzlichen Auftrag, Verletzte zu behandeln. Es ist daher nicht die Frage relevant, wieviel wir für die Freizeitunfälle ausgeben. Wir haben alle Verletzten, die in unsere Häuser eingeliefert werden, zu behandeln.“ Das Problem: Die für die Nicht-Arbeitsun-fälle zuständigen Krankenkassen ersetzen den Unfallversicherungen nicht die vollen Kosten. „Es gibt nur pauschalierte Tagsätze, die nie die wirklichen Kosten abdecken“, rechnet der AUVA-Chef. „Die derzeit nach den existierenden Normen und Richtlinien der Sozialversicherung geltenden Tagsätze liegen höher als die Ersatzkosten der Krankenversicherungsträger. Der durchschnittliche Tagsatz in einem Unfallkrankenhaus beträgt 4.343, in einem Rehabilitationszentrum 2.661 Schilling. Der Ersatz durch die Krankenversi-cherungsträger beträgt hingegen da wie dort nur je 1.400 Schilling.“ Im Klartext: Die gesetzliche Unfallversicherung sponsert die Freizeit- und Haushaltsunfälle, und zwar mit „einer Milliarde Schilling jährlich“ (Thiel).

Das wurmt die Unternehmer als Financiers schon lange. Die politische Resonanz auf entsprechende „Entlastungswünsche“ ist bisher immer ausgeblieben. Jetzt haben die Koalitionsverhandler aber offensichtlich angebissen und wollen entsprechende Modelle ausgearbeitet haben.

Die FURCHE holte dazu Wünsche und Vorstellungen ein, die Sie auf den folgenden Seiten lesen können.

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