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Verschenkte Geigerchance

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Als einen der interessantesten jungen Geiger der Welt bezeichnete Herbert von Karajan Gidon Kremer, den jüngsten von ihnen am sowjetischen Geigerhimmel. Zurecht holte man also das Wunder Kremer, das in Wien schon fast Heimatrecht genießt, naah Salzburg, zu Recht übertrug man ihm eine Aufgabe im Eröff-nungskonizert der diesjährigen Festspiele im großen Festspielhaus. Unverständlich allerdings, daß man ihn bloß den Solopart in Johann Sebastian Bachs knappem E-Dur-Konzert gab. Das soll nun nicht heißen, daß man Bachs großartiges Konzert geringschätzen dürfte. Ganz im Gegenteil. Aber um das Können eines so fulminanten jungen Geigers zu zeigen, um bei einem so prominenten Festival eine Persönlichkeit ganz hervorzukehren, scheint mir das doch ein bißchen Tiefstapalai. — Natürlich zeigte Kremer, dieser Ausbund an Musikalität, auch da, was er kann. Strahlender Ton, berückende Sanftheit des Ausdrucks, die dennoch nie verzärtelt oder parfümiert wirkt. Nach anfänglicher Unsjcner-heit, die vielleicht auch durch ein paar zu frühe Einsätze in der Cem-balöbegleitung Karajans -usgelöst wurde, fand er rasch in den Musi-zierstil Bachs: Kunstvolles Dialog-spiel mit dem Orchester, den Wiener Philharmonikern, schön rhythmisiert im Fragenstellen und Ant-

wortgeben, elegantes Miteinander-spielen, in dem die Geigenstimme sich indes nirgends zu solisMsoher Bravcur aufschwingt.

Die Wiedergabe verlor übrigens um so möhr an Wirkung, als Karajan danach Bruckners 9. Symphonie dirigiert, imponierend, ja sogar mitreißend. — Gerade diese Neunte und da vor allem der Adagiosatz sind geradezu eine Art Gradmesser, welche Entwicklung Karajan in den letzten Jahren durchgemacht 'hat. Vom Pathetisch-Prunkenden hat er sich gänzlich abgewendet. Die große Geste der Stars ist verschwunden. Klare Linien, schlanker Zuschnitt, präzise gesetzte Farbwerte dominieren. Gerade seine Arbeit an Gustav Mahlens Fünfter und Sechster mag in den letzten Jahren wohl auch Karajans Brucknerbild entscheidend beeinflußt haben. Was er heute dirigiert, ist — im besten Sinne — moderne Interpretation. Von Gefühlen entschlackt, kritisch distanziert, merkbar vom Anlaß, vom tonlich genauen Sezieren geprägt. — Daß das Publikum dennoch nicht in Kälte erstarrte, dafür sorgte sein Gespür und dafür sorgen die Wiener Philharno-niker mit ihrem schönsten Streicherklang, mit samtig weich klingendem Holz, mit reich schattierten Blech-Farben. Eine beinahe schon denkwürdige Aufführung

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