6798838-1971_23_12.jpg
Digital In Arbeit

Bruckner und Strawinsky

19451960198020002020

Spricht man von Bruckners Musik, so kommt die Rede alsbald auf deren große Formen, die weiten Bögen, die Wagner ähnliche, aber doch so eigenständige Harmonik und, natürlich, auf den Gehalt, ihren religiösen Hintergrund. Selten wird vom Klang des Bruckner-Orchesters gesprochen, der, ob üppig oder zart, immer nobel, geheimnisvoll bestrik- kend und in den Steigerungen von auserlesener Pracht ist. Mit einem Wort: Bruckner-Musik klingt immer, auch im fff, schön. So sollte es sein. Viele wissen es, aber realisieren können es nur wenige.

19451960198020002020

Spricht man von Bruckners Musik, so kommt die Rede alsbald auf deren große Formen, die weiten Bögen, die Wagner ähnliche, aber doch so eigenständige Harmonik und, natürlich, auf den Gehalt, ihren religiösen Hintergrund. Selten wird vom Klang des Bruckner-Orchesters gesprochen, der, ob üppig oder zart, immer nobel, geheimnisvoll bestrik- kend und in den Steigerungen von auserlesener Pracht ist. Mit einem Wort: Bruckner-Musik klingt immer, auch im fff, schön. So sollte es sein. Viele wissen es, aber realisieren können es nur wenige.

Werbung
Werbung
Werbung

Karajan vermag es wie kaum ein zweiter seiner Generation, von den jüngeren Dirigenten ganz zu schweigen. Doch lassen er und das Berliner Philharmonische Orchester es dabei nicht bewenden. Die oft abrupten Gegensätze, vor allem innerhalb der mächtigen Ecksätze der Achten können nur durch die Intuition der Ausführenden, manche „Luftlöcher“ nur mit großer Geschicklichkeit gemeistert werden. Karajan sieht, hört und macht hörbar nicht nur die gewaltigen Klangblöcke, sondern auch den funktionellen Wert jedes Details.

Als Höhepunkt der Interpretationskunst Karajans und der Berliner erschien uns das Adagio, dieser große Nachtgesang in dem sich Bruckner der hochverfeinerten har- honischen und instrumentalen Mittel der Spätromantik mit naiver Seblstverständlichkeit bedient. Nur mit der Harfe vermag er noch nicht umzugehen, die (im Scherzo) den „Hörnerschall“ keineswegs „umrauscht“ (wie im Programm zu lesen war), sondern recht hilflos herumzirpt. Da hätte der Dirigent dem Komponisten ein wenig helfen können, und zwar dämpfend…

Wollte man das Spiel der Berliner mit dem unserer Spitzenorchester vergleichen, so könnte man sagen: ihr Bruckner ist um einige Nuancen weniger pathetisch, im Klang klarer (aber ohne Schärfe), im ganzen etwas heller. Und noch etwas Wichtiges: Karajan ließ sich Zeit. Nach der Haas’sehen Ausgabe ohne Striche dirigierepd, brachte er es auf 85 Minuten. Das ist recht so!

*

Das zweite Konzert war zur Gänze Strawinsky gewidmet. Angekündigt hatte man „Le sacre du printemps“ und die Jupiter-Symphonie. Letztere wurde dann durch die Ballettmusik zu „Apollon Musaigete“ ersetzt, die das Konzert einleitete. Sie ist 1927/28 in Nizza entstanden und das bedeutendste Zeugnis für Strawinskys neoklassische Periode. Die feierliche Nüchternheit des Stils bestimmte auch die Instrumentierung für Streicherorchester, die streng diatonische Schreibweise und die reine polyphone Zeichnung einer fast eingängig zu nennenden Melodik. -— Ob er während der Komposition an griechische Säulen gedacht habe, wurde Strawinsiky einmal gefragt. „Nein, an Streichinstrumente“, antwortete er. Und an Tänzer, möchte man hinzu- fügen. Denn bei aller Schönheit der 33 Minuten dauernden Komposition fallen einige sehr gestisch empfundene Teile im Konzertsaal ein wenig ab. Und dies trotz des intensiven und klangschönen Vortrags der Berliner, die mit ganz großer Streicherbesetzung, wohl mehr als 50 Mann, spielten.

Kaum ein größerer Gegensatz hierzu innerhalb des reichhaltigen Werkes von Strawinsky ist denkbar als der gleichfalls 33 Minuten dauernde „Sacre du primtemps“. Das aus dem Jahre 1911 bis 1913 stammende Werk ist vielleicht das einzige dieser ersten Jahrhunderthälfte, das nach so vielen Jahrzehnten immer noch wie ein Schock wirkt. Karajan hat es seiner Bedeutung und Größe entsprechend dargeboten, und das Orchester hat sich nicht geschont Die Spannung ließ wirklich keinen Augenblick lang nach, die Klanggewalt war bestür- zend, die gehämmerten Rhythmen von unheimlicher Präzision, das Ganze eine urwelülch-imagische Beschwörung von größter Eindringlichkeit.

Neben der künstlerischen Leistung des Dirigenten und des Orchesters muß die kaum vorstellbare physische — bei subtropischen Temperaturen im Großen Musikvereinsaal — besonders hervorgehoben werden. Entsprechende Hitzegrade erreichte auch der Applaus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung