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Klassische Moderne

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Das 5. Konzert im Zyklus „Die große Symphonie“ war ausschließlich slawischer Musik gewidmet. Jan Dismas Zelenka, ein Zeitgenosse Bachs, ist wohl nur den Musikölogen bekannt. Seine Ouvertüre „Sub aolea pacis“ (Unter dem Ölbaum des Friedens) leitete seinerzeit, Anno 1723, in Prag eine Krönungsoper ein und weist jenen Bläserprunk auf, den man von einem solchen Werk erwartet. Im übrigen unterscheidet sie sich kaum von dem, was in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts allerorten in Westeuropa geschrieben wurde. — Hierauf folgte Bohus-lav Martinus 1. Cellokonzert, an dessen Partitur der Komponist von 1931 bis 1955 herumbastelte, aber die Arbeit hat sich gelohnt: die letzte Fassung stellt eine wirkliche Bereicherung der nicht sehr großen Literatur für Violoncello und Orchester dar. Ein substantieller und virtuoser Cellopart tritt mit dem Orchester in echte Partnerschaft: apart dialogisierend, solistisch hervortretend, bald dramatisch, bald lyrisch, immer geschmackvoll und keineswegs nur in der Art „böhmischen Musikantentums“, womit man die Werke des 1959 in der Emigration verstorbenen Komponisten oft allzu leichtfertig abtut.

Diesem Solo verlieh die junge Stuttgarter Cellistin Angelica May Kraft, Feuer und lyrischen Wohllaut. Diese perfekte Technikerin, die vor etwa zehn Jahren, damals fast noch ein musikalisches Wunderkind, in Wien auftrat, ist jetzt eine in jeder Hinsicht reife Künstlerin, deren sicheres und zugleich bescheidenes Auftreten neben ihrem podiuimgereohten Äußeren sehr für sie einzunehmen geeignet ist. Woran es aber liegen mag, daß der Ton manchmal etwas stumpf und glanzlos wirkt? Meiner Meinung nach an dem Instrument, das sie spielt: ein Cello von Gagliano aus dem Jahr 1721. — Hier war der Höhepunkt des Konzertes erreicht, an dem auch das Orchester und der Dirigent Vaclav Neumann, Jahrgang 1920, seit zehn Jahren Chef der Tschechischen Philharmonie und nur allzu seltener Gast in Wien, ihren wohlbemessenen Anteil hatte.

In der das Konzert beschließenden VI. Symphonie von Tschaikowsky blieb manches ungesagt, unterspielt. Es fehlten viele Nuancen, und auch bei den großen Steigerungen und dynamischen Explosionen gelang es dem Dirigenten nicht so recht, die Wiener Symphoniker „anzuheizen“. Aber die Wiederbegegnung mit der Cellistin Angelica May und einem so gut wie unbekannten Meisterwerk der Cello-Literatur machten den Besuch des Konzertes lohnend. *

Die Philharmonischen Konzerte dieser Saison zeigen erfreulich aufgelockerte, von der Konvention abweichende Programme. So auch das 5. am vergangenen Samstag und Sonntag. Und wenn an der Spitze dieses Meisterorchesters ein so interessanter Dirigent steht wie Lorin Maazel (ein in Wien viel zu seltener Gast), so ist das Vergnügen, zumindest für den Kritiker, perfekt. Havels „Pavane pour une Infante de-funte“ ist mit ihrem unüberhörbaren Einfluß von Chabrier, sicher kein bedeutendes, aber mit seinem elegischen Lyrismus ein sehr hebenswürdiges Werk zum Einspielen. — Hierauf folgte, straff und.-locker zugleich musiziert, eine Haydn-Sym-phonie und zwar die in c-Moll N.r. d5, die zum ZyMus der vier Londoner Symphonien gehört (Auch Haydn ist ein allzu seltener Gast in unseren Konzertprogrammen). Den zweiten Teil des Konzertes bildeten Strawinskys Ballettszenen „Le sacre du Printemps“, zwar schon 60 Jahre alt, aber immer noch schockierend, aber im erfreulichsten Sinn: immer wieder frisch und neu wie am ersten Tag. Dafür ist Maazel der rechte Mann. Er musiziert mit Temperament, aber ohne Übertreibungen, federnd leicht und doch intensiv. Unbewußt folgte er einer Anweisung Strawinskys, die dieser einmal im Teatro Fenice einem jungen Dirigenten gegeben hatte, der allzu ekstatisch und wild mit dieser ohnedies schon „hitzigen“ Partitur verfuhr: er möge doch einige Stellen „plus mozartien“ interpretieren! — Zu loben ist auch das auf die einzelnen Werke einfühlsam eingehende Programm. (Der lange Artikel über das kurze Ravel-Stück hätte von einem Franzosen sein können, der von Univ.-Prof. Dr. Nowak zu der Haydn-Symphonie ist solide instruktiv, und Erik Werba hält sich an Strawinskys Deutungen seiner Partitur. Man kann nichts Besseres tun.) Erfreulich, daß auch dem Publikum der „Sacre“ in dieser mustergültigen Wiedergabe gut gefallen hat.

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