Konflikt Schmerz Qual Mühe Statue - © Foto: iStock/Xirurg (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Konfliktkultur: Streiten für die Demokratie

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Von der Migration über die Klimakrise bis hin zum Gendern – Differenzen stehen auf der politischen Tagesordnung. Ist das beklagenswert? Nein, meint unser Autor: Würden sich Politiker(innen) nicht zanken, wäre dies eine Form der Arbeitsverweigerung.

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Von der Migration über die Klimakrise bis hin zum Gendern – Differenzen stehen auf der politischen Tagesordnung. Ist das beklagenswert? Nein, meint unser Autor: Würden sich Politiker(innen) nicht zanken, wäre dies eine Form der Arbeitsverweigerung.

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Die einen halten sich im Nationalrat Totalversagen vor, die anderen kriegen sich aufgrund unterschiedlicher Wertvorstellungen in die Haare. Wer Politik verfolgt, wird unweigerlich mit Konflikten konfrontiert. Und oft scheint es, als würden diese Auseinandersetzungen an Polarisierung zunehmen. Viele empfinden das wie eine sich immer weiter beschleunigende Spirale an Negativität, befeuert von konventionellen Medien und sozialen Netzwerken, deren innere ökonomische Logik Konflikt sucht und verstärkt.

Ganz generell hat der Konflikt in der Politik keine gute Nachrede. Es solle lieber gearbeitet als gestritten werden, hört man nicht selten. Selbst Politiker sind mit dieser Idee erfolgreich: „Genug gestritten“ plakatierte 2008 die SPÖ unter Werner Faymann als Wahlkampfcredo. Und 2017 schwor die Neue Volkspartei unter Sebastian Kurz mit dem Versprechen eines „neuen Stils“ den großkoalitionären Sticheleien der Faymann-Jahre ab. Wiewohl populär, fußt der Wunsch nach „mehr arbeiten, weniger streiten“ aber auf einem fundamentalen Missverständnis: Denn in einer pluralistischen Demokratie ist das (gewaltfreie) Austragen von gesellschaftlichen Konflikten zentrale Aufgabe der Politik.

Die Lasten der Geschichte

Dass dieses Missverständnis in Österreich besonders verbreitet ist, mag historische Gründe haben. In der Ersten Republik entluden sich bekanntermaßen politische Konflikte nicht nur in verbaler Auseinandersetzung der zwei großen Lager (Christlichsoziale und Sozialdemokratie), sondern wurden am Ende mit Waffen ausgetragen. Diese Militarisierung der politischen Auseinandersetzung begünstigte auch die Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie durch die Christlichsozialen. Die Legitimität des demokratischen Gemeinwesens war zu schwach ausgeprägt (auch, weil sie bewusst unterminiert wurde), um das herrschende Ausmaß an politischem Konflikt in geordnete Bahnen kanalisieren zu können.

Um diese Gefahr nach 1945 hintanzuhalten, mussten dieselben verfeindeten politischen Lager in der Nachkriegszeit einen institutionellen Rahmen finden, der Kooperation trotz mangelnder Vertrauensbasis ermöglichte. Die Lösung lautete Machtteilung und wechselseitige Kontrolle in allen politischen Arenen: In Regierung und Parlament dominierte bis in die 1960er die große Koalition von ÖVP und SPÖ, die regelmäßig über 90 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinten. In der Sozialpartnerschaft wurde die Kooperation von – mit den beiden Großparteien eng verflochtenen – Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer institutionalisiert. In Verwaltung und verstaatlichter Industrie griff der rot-schwarze Proporz um sich.

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