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Rückzug und Verzicht

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Aufgrund der langen Jahre einer sehr stabilen politischen Entwicklung in Österreich haben sich hier gewisse Tendenzen des modernen Parteienwesens besonders stark ausgeprägt: Die traditionellen Parteien bedienen sich Strategien, die bisher zwar vordergründig erfolgreich waren, die aber zunehmend problematisch werden.

Jenseits offizieller Deklamationen ist ziemlich unbestritten, daß das Verhalten der österreichisehen Großparteien durch die strategische Dreiheit von Ritual, Patronage und Konkordanz charakterisiert werden kann.

Ritual steht als Kurzformel für die mediale Transformation der Alltagspolitik, die die Betriebslogik der elektronischen Massenmedien, insbesondere des Fernsehens, unerbittlich mit sich bringt.

Das allbeherrschende Medium verlangt nach kurzatmiger, ja kürzestatmiger Aktualität, nach Einschränkung der Berichterstattung auf wenige Themen und kurze Meldungen und zum Teil ganz unverhohlen nach Unterhaltung, auch im Bereich der Politik.

Die Patronagef unktion der Parteien wird selbst offiziell nur halbherzig bestritten. Österreichs Parteien haben nicht ohne Grund so hohe Mitgliederzahlen und damit einen international beispiellos hohen Organisationsgrad.

Die Patronagefunktion, die natürlich über eine lange Tradition verfügt, hat nicht nur die Konsequenz, die Parteiorganisationen aufzublähen und die Mitgliederkarteien zu füllen, sie kann auch leicht zu weiterreichenden Mißbräuchen führen. Das häufige Auftreten der Korruption in unserem Land ist sicher in diesem Zusammenhang der Aufteilung von Interessensphären etwas leichter zu erklären als bloß auf der Ebene individuellen Fehlverhaltens.

Schließlich ist noch auf die Konkordanzstrategie der Parteien hinzuweisen. Hier muß das Urteil ambivalenter ausfallen.

Zweifellos war es eine große Leistung der österreichischen Politik nach 1945, aus den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit eine Lehre zu ziehen. Große Koalition und Sozialpartnerschaft haben die Zusammenarbeit an die Stelle der bewaffneten Auseinandersetzung, Konkordanz an die Stelle des latenten oder akuten Bürgerkriegs gesetzt.

Freilich stellt sich die Frage, ob man nun, nachdem die Zeit des

Wiederaufbaues lange vorbei ist und viele Rahmenbedingungen der Politik sich entscheidend verändert haben, nicht des Guten ein wenig zuviel tut.

Den bestehenden Großparteien droht ein doppelter Infarkt. Einerseits ersticken sie nach innen an sich verselbständigenden disfunktional gewordenen Strategiemustern und andererseits erscheinen diese Strategien nach außen zwar vordergründig (noch) erfolgreich: doch zeichnet sich auch hier eine massive Einbuße an Glaubwürdigkeit und damit an Effektivität ab.

Welche Änderungen sind notwendig? Die traditionellen Parteien müßten versuchen, im Strategiebereich gegenzusteuern. Schlagwortartig formuliert müßte an Stelle von Ritual Realität, an Stelle von Patronage Politik und an Stelle von Konkordanz Konflikt treten.

Realität, das heißt Verzicht auf das mediale Alltagsritual. An ihre Stelle muß der Versuch treten,

Programmatik ernstzunehmen und die vielen auch zum Teil höchst schwierigen neuen Fragen ernsthaft aufzuwerfen. Das wird oft den Mut zur Unpopularität erfordern.

Politik impliziert ein Gesundschrumpfen der Parteien, Rückzug aus liebgewordenen Einflußbereichen, ein Abspecken und Reduzieren auf den Status von Gemeinschaften, in denen sich nicht die Karrieresüchtigen, sondern die politisch Interessierten versammeln.

An Stelle der Patronage wird für eine faire Repräsentanz der Bürger vor den Großorganisationen gesorgt werden müssen. Die Parteien werden immer noch die Bürgerrechte ernstzunehmen haben. Wo weniger oft konkrete Interessen verteidigt werden müssen, wird dann auch eine größere Prinzipientreue in den wichtigen politischen Fragen möglich sein.

Konflikt bedeutet die Bereitschaft, sich zu Interessengegensätzen zu bekennen und diese offen, ehrlich und hart auszutragen.

Das Aushandeln von Lösungen den Parteiexperten zu überlassen und nach außen Einigkeit zu demonstrieren, kann auf Dauer nicht mehr überzeugen. Auch die Bürger honorieren Konflikt: man sollte nicht vergessen, daß die großen Siege von ÖVP (1966) und SPÖ (1970) jeweils nach intensiven internen Führungskonflikten erzielt worden sind.

Die neuen Strategien sind von der Theorie her leicht zu postulieren und in der Praxis schwer durchzusetzen. Sie erfordern einerseits von den Politikern erhöhten Mut zum Risiko, eine ungewohnte Tugend in einem bürokra-tisierten Staat, andererseits allerdings auch strukturelle Voraussetzungen, die ein erhöhtes Konfliktniveau erst möglich machen würden.

Dennoch ist die Bereitschaft zu mehr Auseinandersetzungen, zu mehr Konflikt und mehr Politik eine Notwendigkeit. Ein Eintreten für mehr und intensivere Konflikte bedeutet dabei natürlich weder ein Eintreten für Gewaltsamkeit in der Politik und auch keine Ableugnung der Tatsache, daß extremer Konflikt disfunktionale Wirkungen haben kann.

Aber von dieser Möglichkeit sind wir heute in Österreich ja wirklich weit genug entfernt.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Auszug aus dem Beitrag „Die latente Krise der Traditionsparteien", in: POLITIK FÜR DIE ZUKUNFT. Festschrift für Alois Mock. Hrsg. Koren/Pisa/Waldheim. Böhlau-Verlag, Wien 1984.

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